Der Trierer Bischof Stephan Ackermann ist seit hundert Tagen Missbrauchsbeauftragter

Zwischen Opferschutz und Krisenmanagement

Unter all seinen Amtsbrüdern hat der Trierer Bischof Stephan Ackermann derzeit wohl den heikelsten Job. Der Missbrauchsbeauftragte der Deutschen Bischofskonferenz ist der Krisenmanager der angeschlagenen katholischen Kirche. Seit 100 Tagen ist Ackermann nun Missbrauchsbeauftragter.

Autor/in:
Marlene Grund
 (DR)

Ackermann ist derjenige, der alles richten soll: aufklären, aufarbeiten und den Opfern sexueller Gewalt Gerechtigkeit verschaffen, neuen Missbrauch verhindern und Richtlinien der Kirche für den Umgang mit Opfern und Tätern erarbeiten.

Der promovierte Theologe mit dem lichten Haaransatz und dem empathischen Blick, seit Frühjahr 2009 Bischof von Trier, wurde in dieser Zeit zu einem der bekanntesten Vertreter der katholischen Kirche in Deutschland. Ackermann saß in Talk-Shows, wo er selbst Alice Schwarzer ein wohlwollendes Lächeln abrang, gab Interviews und Pressekonferenzen, sprach auf dem 2. Ökumenischen Kirchentag in München und sparte sogar in seinen Predigten das Thema Missbrauch nicht aus. Gleichermaßen authentisch im Gespräch mit Missbrauchsopfern und Ministern scheint er in seiner Person die Glaubwürdigkeit zu verkörpern, die seiner Kirche derzeit fehlt.
Sogar Lob von Kritikern
Ackermann stehe für eine neue Bischofsgeneration, lobte ihn sogar die kritische Kirchenvolksbewegung "Wir sind Kirche". Gleichzeitig schränkte sie ein, dass die Kirchenhierarchie allein nicht in der Lage sei, das verlorene Vertrauen wiederzugewinnen. Seit sich die Dimension der Missbrauchsfälle abzeichnet, kehren immer mehr Menschen der katholischen Kirche den Rücken. Allein im Bistum Münster traten im März dieses Jahres mehr als tausend Katholiken aus, doppelt so viele wie im Vorjahresmonat. Es sei der fatale Eindruck entstanden, in der Kirche seien Übergriffe auf Kinder und Jugendliche tagtäglich zu gegenwärtigen, klagte Ackermann. Dabei lägen die meisten Fälle Jahrzehnte zurück.

Doch Verharmlosung ist seine Sache nicht. In der Vergangenheit habe es schwere Versäumnisse der Kirche gegeben, gesteht der 103. Bischof von Trier ein: "Priester haben das Vertrauen der Menschen auf grausamste Weise verraten." Beim Thema Missbrauch entlade sich, wie beim isländischen Vulkan "eine giftige, stinkende Wolke".


Offenheit ohne Rücksicht auf Verluste
Ackermann, der aus dem Eifelstädtchen Mayen stammt, zählt die Fehler auf: "Falsche Rücksichten auf den Ruf der Kirche, auf bestimmte Institutionen, auf den Ansehensverlust" hätten die Aufklärung verhindert. Deutlich wird aber auch, dass der Bischof die Schuldfrage nicht bei der Institution, sondern bei den Tätern und ihren Vorgesetzten sieht. Wohl auch deshalb lehnt er eine offizielle Entschuldigung der katholischen Kirche bei den Opfern ab: "Die individuelle Schuld könnte durch eine Entschuldigung der Institution Kirche vernebelt werden", ist seine Auffassung.

In das Amt als Sonderbeauftragter kam Ackermann, weil die Bischöfe und Weihbischöfe darin einen Ausweg aus der wohl gewaltigsten Kirchenkrise der vergangenen Jahre suchten. Der Trierer Bischof hatte schon Anfang Februar darauf gepocht, dass es bei den Missbrauchsfällen innerhalb der Kirche keine "Verharmlosung oder ein Vertuschen" geben dürfe.

Keine mediale Verschwörung
Dass sich die Vorgänge "erschütternd und verheerend" für das Ansehen und die Glaubwürdigkeit der Kirche erweisen würden, sah er schon voraus, als sich andere katholische Würdenträger noch als Opfer einer medialen Verschwörung wähnten oder wie der nun aus dem Bischofsamt entlassene Augsburger Theologe Walter Mixa eine Mitschuld in der "sogenannten sexuellen Revolution" zu erkennen glaubten.

Ackermann sprach von "großem Rückhalt" in der Bischofskonferenz für seine Arbeit. Unterstützt wird der neue Missbrauchsbeauftragte von einem zentralen Büro im Sekretariat der Bischofskonferenz in Bonn. Hier soll die Zusammenarbeit zwischen Bistümern und Orden ausgebaut werden. Die 27 rechtlich selbstständigen Bistümer und die Ordengemeinschaften, von denen viele laut Ackermann nicht einmal der Verantwortung der Diözesanbischöfe unterstehen, sollen sich auf gemeinsame Schritte einigen.
Anzeigepflicht weiterhin umstritten
Uneinigkeit herrscht in den deutschen Diözesen etwa darüber, ob bekanntgewordene Missbrauchsfälle angezeigt werden sollen - in Deutschland gibt es keine Anzeigepflicht. So steht Ackermanns Amtsvorgänger im Trierer Bischofsamt, der Münchner Erzbischof Reinhard Marx, an der Spitze der bayrischen Bischofe, die konsequent alle Verdachtsfälle an die Staatsanwaltschaft weiterleiten - darunter auch den Fall des früheren Augsburger Bischofs Mixa.

Ackermann will dagegen nur mit Einverständnis der Opfer Anzeige erstatten. Wer bereits missbraucht wurde, solle kein zweites Mal instrumentalisiert werden, sagt er. Früher habe die Kirche die Täter mit Blick auf den eigenen Ruf geschützt, gibt er bedenken. "Besteht nicht die Gefahr, dass wir jetzt auch wieder vor allem auf unser Image schauen?"