Türkei fürchtet nach israelischem Angriff eine Antisemitismus-Welle

"Wir müssen aufpassen"

Der türkische Ministerpräsident Erdogan spricht von "Staatsterrorismus", Istanbul erlebt wütende Proteste vor israelischen Vertretungen. Nach dem Angriff auf das türkische Schiff "Mavi Marmara" warnen Politiker und Experten nun vor einer Antisemitismus-Welle in der Türkei.

 (DR)

Um sich nicht "vom Recht ins Unrecht" zu setzen, müsse die Regierung judenfeindlichen Reaktionen vorbeugen, zitierten türkische Medien am Dienstag die Politikwissenschaftlerin Beril Dedeoglu. Bei ihren Protesten gegen das israelische Vorgehen sollten Politiker sehr auf ihre Wortwahl achten.

"Wir müssen aufpassen, dass das nicht nach hinten losgeht und eine Welle des Antisemitismus auslöst", sagte auch der frühere Außenminister Ilter Türkmen im Fernsehen. "Wir müssen nach außen entschlossen reagieren, aber im Inneren müssen wir sehr aufpassen, dass die Reaktionen nicht aus dem Ruder laufen." Vor den israelischen Vertretungen im Land hatten am Montag Tausende Demonstranten gegen die Enterung der "Mavi Marmara" und die Blockade gegen Gaza protestiert.

Die Jüdische Gemeinde der Türkei äußerte sich in einer schriftlichen Erklärung tief betrübt über die Militäraktion gegen den Schiffskonvoi mit Hilfsgütern für Gaza. "Wir teilen das öffentliche Empfinden in unserem Land über diese Operation und erklären unsere tiefe Trauer", hieß es in einer Erklärung. Ansonsten lehnte der Gemeindevorstand alle Interviews ab.

Erstes muslimisches Land, das den Staat Israel anerkannte
Die Geschichte dieser Beziehungen beginnt im Jahr 1949 - die Türkei war das erste muslimische Land, das den Staat Israel anerkannte. In den 90er-Jahren war das Verhältnis besonders gut, was sich in einer engen militärischen und wirtschaftlichen Zusammenarbeit zeigte.

Die beiden Länder verstanden sich als einzige westliche Demokratien in einer unruhigen Region und damit als natürliche Verbündete. Doch seit ein paar Jahren ist die Freundschaft gestört: Immer öfter gibt es Streit wegen des Palästina-Konflikts.

Unverständnis weltweit nach Militäraktion
Am Montagmorgen hatte ein israelisches Sonderkommando die sechs Schiffe der Aktion "Free Gaza" in internationalen Gewässern geentert, um deren Weiterfahrt zum Gazastreifen zu verhindern. Das israelische Militär erklärte, die Soldaten seien mit "extremer Gewalt" empfangen worden. Israelische Medien werteten den Ausgang der Aktion dennoch weitgehend als "großes Fiasko". Ministerpräsident Benjamin Netanjahu brach seine USA-Reise ab, um die Angelegenheit in der Heimat zur Chefsache zu machen.

Weltweit wurde die Militäraktion scharf verurteilt. Es handle sich um einen "unnötigen Verlust von Menschenleben" und um einen sehr schmerzlichen Vorfall, sagte Vatikansprecher Federico Lombardi. Der Heilige Stuhl sei generell gegen Gewaltanwendung, da sie friedliche Lösungen erschwere.