Sozialethiker kritisiert nach Köhler-Rücktritt die Bundesregierung

"Ein sehr dramatisches Zeichen!"

Hat Horst Köhler richtig gehandelt? Einen Tag nach der Rücktrittserklärung des Bundespräsidenten hat die Suche nach den Ursachen begonnen. Verständnis zeigt Prof. Wolfgang Ockenfels. Gegenüber domradio.de kritisiert der katholische Sozialethiker die zunehmende Politisierung des Amtes. Man habe Köhler "wie irgendeinen Parteipolitiker" behandelt.

 (DR)

domradio.de: Wie haben Sie den Rücktritt aufgenommen?
Ockenfels: Ich war maßlos erstaunt, auch ein bisschen erschüttert. Aber im Rückblick kann man doch feststellen: Es hatte sich schon einiges angesammelt und angebahnt - vor allen Dingen im Sinne eines Kesseltreibens gegen den Bundespräsidenten. Dass ihm jetzt wohl der Kragen geplatzt ist, kann man nachträglich verstehen. Jetzt sagt er: Macht Euren Dreck alleine! Aber man muss erstmal fragen: Was ist dem vorausgegangen? Und das ist nicht immer sehr nobel gewesen, wie man mit ihm und seinem Amt umgegangen ist.

domradio.de: Der Rücktritt ist also keine Überreaktion?
Ockenfels: Nein. Hier ist ein großes Verständnis angebracht. Weil ein Bundespräsident, der die Würde und das Ansehen des Staates repräsentiert, sich nicht alles gefallen lassen kann. Und wenn er den Eindruck gewinnt, dass seine moralische Autorität durch den Kakao gezogen wird und er nur noch Gegenstand von Satire, rotzfrechen Aggressionen einiger Medien und einer Parteipolitiker geworden ist, kann man nur sagen, dass er dem Amt dadurch nützt, indem er diese Art von Partei-Politisierung und von kritischer Infragestellung nicht mehr weiter mitmachen wollte. Dann eben diese Reaktion.

domradio.de: Trotzdem kann man sich fragen: Warum hat Köhler seinen Rücktritt bis zum Schluss so geheim gehalten, auch vor der Kanzlerin? Wollte er damit ein Zeichen setzen?
Ockenfels: Ein sehr dramatisches Zeichen! Aber die Frage nach seiner persönlichen Motivation braucht man nicht weiter nachzuprüfen, sondern die Gründe, die er selber angegeben hat, reichen für meine Begriffe völlig aus. Das ist auch darauf zurückzuführen, dass man ihn isoliert hat. Und zwar aus dem bürgerlichen Lager CDU und FDP. Aus der Koalition hat er wohl zu wenig Unterstützung erhalten. Das ist also auch ein Vorwurf gegen Frau Merkel.

domradio.de: Wie muss die Regierung nun reagieren?
Ockenfels: Eine größere Solidarität der bürgerlichen Öffentlichkeit gegenüber dem Präsidenten muss entstehen, der doch das Gemeinwohl innerhalb eines Staates zu repräsentieren hat. Und das hat Horst Köhler sehr gut gemacht. Er hat viele Anregungen gegeben. Man hat sich zwar über seinen Stil gelegentlich mokiert, aber man hat viel zu wenig seine Sachbeiträge aufgegriffen, um sie dann auch sachlich zu diskutieren. Was mich stört an der ganzen Debatte ist erstmal die Politisierung seines Amtes, man behandelt ihn wie irgendeinen Parteipolitiker. Und dann werden diese Probleme nicht mehr sachlich besprochen, sondern sie werden sofort personalisiert, man such dann irgendwelche Sündenböcke. Das deutet darauf hin, dass wir in einer sehr hysterischen Situation einer entnervten Öffentlichkeit stehen. Und da hat der Bundespräsident vielleicht ganz Recht. Ich verstehe ihn jedenfalls gut, dass er sich jetzt nicht mehr diese Kritik gefallen lässt, sondern sich auf sein Altenteil zurückzieht.  

Das Gespräch führte Pia Deuss.