Bundespräsident Köhler vermisst Respekt vor seinem Amt

Der scheue erste Mann im Staat tritt ab

Rund ein Jahr nach seiner klaren Wiederwahl schreibt Horst Köhler Verfassungsgeschichte. Im Mai 2009 war er im ersten Wahlgang als Bundespräsident wiedergewählt worden, am Montag erklärte er seinen Rücktritt. In der bundesdeutschen Geschichte ist es der erste Fall, dass ein Staatsoberhaupt während seiner Amtszeit zurücktritt.

Autor/in:
Rainer Clos und Jutta Wagemann
 (DR)

Den überraschenden Schritt begründete Köhler mit der heftigen Kritik an seinen Äußerungen zu Auslandseinsätzen der Bundeswehr. Die Unterstellung, er habe einen grundgesetzwidrigen Einsatz der Bundeswehr zur Sicherung von Wirtschaftsinteressen befürwortet, entbehre jeder Rechtfertigung. Das lasse den notwendigen Respekt vor dem höchsten Staatsamt vermissen, sagte Köhler. Respekt wurde dem unbequemen Köhler nach dem Rücktritt gezollt. In allen politischen Lagern gab es Bedauern über seinen Schritt.

Erst mehrere Tage nach seinem nur wenig beachteten Truppenbesuch in Afghanistan geriet das Rundfunk-Interview, das Köhler bei dieser Gelegenheit gab, in den politischen Tagesstreit. Für Unmut sorgte seine verklausulierte Äußerung, militärische Einsätze könnten auch den wirtschaftlichen Interessen Deutschlands dienen. Während die Linkspartei aus den Köhler-Äußerungen eine Bestätigung herauslas, dass der Bundeswehr-Einsatz nicht verfassungskonform sei, hielten sich Koalitionspolitiker weithin bedeckt. Andere empfahlen einen Blick ins Bundeswehr-Weißbuch. Darin hatte die Große Koalition bereits 2006 festgehalten, dass die deutsche Sicherheitspolitik auch zum Ziel habe, den freien Welthandel als Basis von Deutschlands Wohlstand zu fördern.

Köhler sei der Präsident, den Deutschland in der aktuellen Situation brauche, bescheinigte ihm Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) nach der Wiederwahl. Er selbst listete die Themen auf, die ihm schon in seiner ersten Amtszeit wichtig waren: die Stärke und Leistungsfähigkeit der Bürger, mit der sich auch die aktuelle Krise bewältigen lasse, Gerechtigkeit für die ganze Welt, Bildungschancen für alle und Integration.

Kein rein neoliberal orientierter Wirtschaftsfachmann
Den meisten Eindruck hinterließ in der Öffentlichkeit seine Rede bei der Gedenkfeier für die Opfer des Amoklaufs in Winnenden Anfang März. In der Folgezeit wurden aus dem Bundespräsidialamt mehrfach Personalquerelen und Machtkämpfe kolportiert. Massive Kritik am Bundespräsidenten übte der Köhler-Biograf und Politikwissenschaftler Gerd Langguth. Der Präsident schweige zu allen wichtigen Themen - Missbrauch, Hartz IV oder Euro-Krise, monierte er im "Spiegel". Gerade die "Macht des Wortes", die Bundespräsidenten zu Gebote steht, nutze er nur wenig.

Der 67-Jährige war vieles nicht, was zu Beginn seiner ersten Amtszeit erwartet oder auch befürchtet wurde. Er ist kein rein neoliberal orientierter Wirtschaftsfachmann. "Schrankenlose Freiheit bringt Zerstörung", warb Köhler zuletzt für einen starken Staat. Seine eigene Rolle legte Köhler mitunter unorthodox aus. Mancher in der Union und der FDP ärgerte sich dann über Köhlers gelegentliche Einmischung in die Tagespolitik, etwa seinen Vorschlag zu Erhöhung der Spritsteuer.

Hohe Sympathiewerte
In der Bevölkerung hingegen erfuhr der politikunerfahrene und immer wieder scheu und unbeholfen wirkende Köhler hohe Sympathiewerte, galt als bescheiden und zuvorkommend. Denn anders als seine Vorgänger war der Volkswirt kein Politveteran. Sein Auftreten ist nicht durch jahrelange politische Arbeit abgeschliffen. Mitunter wirkte er ein wenig linkisch bei Terminen. Auch große symbolische Gesten sind seine Sache nicht. Vielleicht galt Köhler gerade deshalb mehr ein Mann des Volkes als einige seiner Vorgänger.

Köhlers Leben ist ein bewegtes: Am 22. Februar 1943 wird er nach der Flucht seiner Eltern aus Rumänien im polnischen Skierbieszów geboren. Bevor er laufen kann, geht die Flucht weiter: zunächst in einen kleinen Ort nahe Leipzig, bereits 1953 aus der DDR. Nach vier Jahren in Auffanglagern lässt die Familie sich im schwäbischen Ludwigsburg nieder. Köhler studiert Volkswirtschaft und wechselt mit 33 Jahren in die Grundsatzabteilung des Bundeswirtschaftsministeriums, 1982 ins Bundesfinanzministerium. 1998 wird er Präsident der Europäischen Bank für Wiederaufbau und Entwicklung. Zwei Jahre später wird Köhler vom neuen Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) als Direktor des Internationalen Währungsfonds (IWF) vorgeschlagen. 2004 wird er auf Vorschlag von Union und FDP zum Bundespräsidenten gewählt.

Mehr als die innenpolitischen Entscheidungen, mit denen er in seiner ersten Amtszeit Schlagzeilen machte, sind die Globalisierung und das Schicksal Afrikas die großen Themen Köhlers, was wohl auch aus seiner beruflichen Vergangenheit herrührt. Das Interesse daran ist bereits früh geweckt - schon 1970 gründet er mit seiner Frau Eva und Freunden im schwäbischen Herrenberg einen Dritte-Welt-Laden. Es passe nicht zu seiner Überzeugung als Christ, Afrika Hunger, Krieg und Chaos zu überlassen, sagt Köhler, der die evangelische Kirche als "geistige und geistliche Heimat" ansieht.