Özkan stößt auf massiven Widerstand

Das Kreuz mit dem Kreuz

"Das Kreuz steht für die prägende Kraft des Christentums in unserer Kultur." Wie Felix Bernard, Leiter des Katholischen Büros Niedersachsen, gegenüber domradio.de sehen es viele - auch in Reihen der CDU, der Partei der neuen niedersächsischen Sozialministerin Aygül Özkan. Mit ihrer Forderung, Kreuze und andere religiöse Symbole aus staatlichen Schulen zu entfernen, trat die türkisch-stämmige Muslimin gleich in mehrere Fettnäpfchen.

Autor/in:
Christoph Arens
 (DR)

Sie setzte auch den Streit um die Neutralitätspflicht des Staates und freie Religionsausübung in der Öffentlichkeit wieder einmal auf die Tagesordnung. Kreuze in Klassenzimmern und Gerichtssälen, der Streit um Kopftücher und Minarette: Die Frage nach der Rolle der Religion in der pluralen Gesellschaft beschäftigt Gerichte und Politik in immer kürzeren Abständen.

Fest steht, dass Özkan sich schon vor ihrem Amtsantritt massiven Ärger bei ihrem Chef eingehandelt hat. Ministerpräsident Christian Wulff (CDU) beeilte sich schon am Sonntag, seinen hoch gehandelten neuen Star zurückzupfeifen. "In Niedersachsen werden christliche Symbole, insbesondere Kreuze in den Schulen, seitens der Landesregierung im Sinne einer toleranten Erziehung auf Grundlage christlicher Werte begrüßt", sagte er. Özkan habe lediglich ihre persönliche Meinung gesagt.

Kritik aus den eigenen Reihen
Andere Unionspolitiker waren auch nicht zimperlich in ihrer Kritik: Bundeskanzlerin Angela Merkel sagt wie Integrations-Staatsministerin Maria Böhmer (CDU), die Kruzifixe seien Ausdruck einer jahrhundertealten christlichen Tradition in Deutschland. Trotz aller Kritik an Özkans Äußerung sei aber die Berufung einer türkischstämmigen Frau in ein Kabinett richtungsweisend.  Unions-Fraktionsvize Johannes Singhammer (CSU) nannte die Forderung "schlicht abwegig"; zu befürchten sei ein "neuer Kulturkampf in deutschen Klassenzimmern".

Die stellvertretende Fraktionsvorsitzende Ingrid Fischbach (CDU) warnte vor einer Abkehr von christlich-abendländischer Kultur. Dass der Vorstoß gerade von einer designierten CDU-Ministerin komme, sei "völlig unnötig und unangebracht". Und CSU-Generalsekretär Alexander Dobrindt befürchtet eine weitere Verunsicherung der Stammwähler.

Ihr Vorstoß rufe zu Recht "bei der einheimischen Bevölkerung in ihrer großen Mehrheit natürlich Abwehr" hervor, sagte der Präsident des Zentralkomitees der deutschen Katholiken (ZdK), Alois Glück, dem Deutschlandfunk in Köln.

Schadenfreudige Opposition
Die SPD konnte sich leichter Schadenfreude nicht enthalten, zumal ihr mit Blick auf Özkan immer wieder vorgehalten worden war, dass die Union bei der Integration von Migranten weit fortschrittlicher sei. Berlins Regierender Bürgermeister Klaus Wowereit (SPD) spottete: Die Erschrockenheit innerhalb der CDU mache deutlich, dass Frau Özkan nicht zu dieser Partei passe.

Historisch hat der Streit um Kreuze in niedersächsischen Klassenzimmern eine Vorgeschichte: 1936 hatte der nationalsozialistische Oldenburger Schulminister alle religiösen Zeichen aus Schulen verbannt. Nachdem die katholische Kirche zum Widerstand aufgerufen hatte, wurden die Proteste der Bevölkerung so massiv, dass die Nazis einknickten und die Kreuze wieder erlaubten. Ob Özkan von diesem "Kreuzkampf" wusste, der die Identität einer ganzen Region nachhaltig prägte?

Berufen kann sich die künftige Ministerin allerdings auf das Urteil des Bundesverfassungsgerichts von 1995. Damals setzten anthroposophisch gesinnte Eltern die Streichung von Teilen der Bayerischen Volksschulordnung durch, die für jedes Klassenzimmer ein Kreuz vorschrieb. Die Karlsruher Richter verwiesen auf die Neutralitätspflicht des Staates. Ihrer Niederlage begegnete die Bayerische Regierung damals mit einem Kniff, der sogenannten Widerspruchslösung: Die Kruzifixe dürfen demnach in den Klassen verbleiben, solange sich kein gerechtfertigter Protest dagegen erhebt.

Keine neue Debatte
Immer wieder gibt es auch Debatten um Kreuze in Gerichtssälen: Erst im Februar war in Düsseldorf ein heftiger Streit über den von der Justiz geplanten Verzicht auf Kreuze im neuen Amts- und Landgerichtsgebäude entbrannt. Und 2006 hatte die Entscheidung bundesweit für Aufsehen gesorgt, in dem renovierten Trierer Justizgebäude keine Kreuze mehr anzubringen. In den meisten Gerichtssälen von NRW und Rheinland-Pfalz hängen bereits keine Kreuze mehr.

Weit bedeutsamer als solche lokalen Entscheidungen wird ein Urteil des Europäischen Menschenrechtsgerichtshofs zu Kreuzen in italienischen Klassenzimmern sein, das am 30. Juni veröffentlicht wird. Die kleine Kammer des Menschenrechtsgerichtshofs hatte im November einer Klägerin Recht gegeben, die sich gegen Kreuze an öffentlichen Schulen in Italien gewandt hatte. Jetzt muss die große Kammer den Kreuzkampf entscheiden.

Mehr zum Thema