Missbrauchsskandal überschattet Erfolge des Pontifikats

Seit fünf Jahren Papst

Trotz seines erneuten Treffens mit Missbrauchsopfern gestern auf Malta: Die Enthüllungen von sexuellen Übergriffen durch Geistliche reichen bis nach Rom, zum Papst. Theologen sprechen von der ernstesten Kirchenkrise seit der Reformation. Sie wirft einen Schatten auf das Pontifikat von Benedikt XVI., das heute seinen fünften Jahrestag erreicht.

Autor/in:
Johannes Schidelko
Benedikt XVI.: Priesterjahr-Schlussfeier könnte Rahmen für Brief bilden (KNA)
Benedikt XVI.: Priesterjahr-Schlussfeier könnte Rahmen für Brief bilden / ( KNA )

Dabei brachte gerade das vergangene Jahr für den Papst zunächst beeindruckende Erfolge. Höhepunkt war im Mai 2009 die Reise ins Heilige Land. Die Begegnungen mit der Welt des moderaten Islam in Jordanien waren ein Durchbruch. Das Verhältnis zum Judentum steht, wie der Gang zur Jerusalemer Klagemauer und später der Besuch der römischen Synagoge zeigte, auf so stabiler Grundlage, dass auch Differenzen um Pius XII. den Dialog nicht ernsthaft beeinträchtigen. Zudem präsentierte sich das Kirchenoberhaupt in Nahost als überparteilicher Mahner für eine gerechte Friedenslösung - und als Anwalt der Christen im Heiligen Land.

Vielbeachtete Vorschläge zur katholischen Soziallehre
Mit seiner dritten Enzyklika «Caritas in veritate» hatte der Papst im Sommer 2009 das Profil seines Pontifikats um vielbeachtete Vorschläge zur katholischen Soziallehre und zur zivilen Weltordnung erweitert. Im Herbst lenkte die Afrikasynode den Weltblick auf die gewaltigen Probleme des Schwarzen Kontinents - und auf die lebendige Ortskirche. Schließlich gelang es dem Vatikan, wenn auch mit Mühe, die Erregung um die Piusbrüder zu dämpfen und auf den Kern des Traditionalisten-Problems zurückzuführen: Auf die theologischen Streitfragen um das Konzil, um Ökumene, interreligiösen Dialog und Liturgiereform. Der Dialog wird jetzt, abseits der TV-Kameras, in Experten-Zirkeln geführt.

Umgang mit den Piusbrüdern
Bereits der Konflikt um die Piusbrüder machte Defizite in der vatikanischen Koordination und Öffentlichkeitsarbeit deutlich. Der Papst und sein Kardinalstaatssekretär Tarcisio Bertone haben die Kurie in den vergangenen fünf Jahren fast komplett neu besetzt. Aber der Theologe auf dem Papstthron konzentriert sich in erster Linie auf die Verkündigung und Präzisierung des Glaubens. Er forciert den Dialog zwischen Kirche und Welt, zwischen Glaube und Vernunft. Aber er kümmerte sich weniger um Verwaltung. Und Bertone hat offenbar den Apparat nicht immer ausreichend im Griff. Mehrfach musste der Papst selbst mit Klarstellungen eingreifen. Vatikansprecher Federico Lombardi, ein hochqualifizierter Medienprofi, hat eine der schwierigsten Aufgaben am Heiligen Stuhl.

Konsequenter als sein Vorgänger hält sich Benedikt XVI. aus der Alltagspolitik heraus. Das hindert ihn nicht, deutlich das natürliche Sittengesetz einzumahnen und den Schutz des Lebens wie den Wert von Ehe und Familie zu fordern. Weiterhin ist das Kirchenoberhaupt gesuchter Gesprächspartner für die Mächtigen der Welt: US-Präsident Barack Obama war unlängst im Vatikan, ebenso sein russischer Amtskollege Dmitri Medwedew. Derzeit bemüht sich der Heilige Stuhl um bessere Beziehungen zu Vietnam und zu China.

Kein Medienstar
Benedikt XVI. ist nicht der Medienstar, nicht der «Papst der Herzen» wie sein polnischer Vorgänger, dessen Seligsprechung bevorsteht. Er ist und bleibt der Wissenschaftler, der Professor. Im kommenden Sommer verzichtet er sogar auf den traditionellen Bergurlaub, um sein geplantes Jesus-Buch abzuschließen. Aber auch der einst als «Panzerkardinal» titulierte Joseph Ratzinger strahlte bald gewinnende Herzlichkeit aus, wird in Sprechchören gefeiert.

Freilich scheint der anfängliche Vertrauensvorschuss nach den Irritationen um die Regensburger Rede, die Piusbrüder und nun um die Missbrauchsdebatte zu schmelzen. Auffallend ist, dass der Papst, der seine Reisen und Audienzen zunächst stark reduzierte, seit gut einem Jahr wieder präsenter ist. Beobachter sprechen von einer neuen «Charme-Offensive».

Im aktuellen Missbrauchsskandal setzt der Papst weniger auf Charme als auf Argumente. Ratzinger hatte bereits 2001 strenge Richtlinien für die Kirche verfügt, auch wenn man ihm heute manche ererbten Fehler früherer Jahre persönlich anlastet. Für die kommenden Jahre des Pontifikats steht noch viel Überzeugungsarbeit bevor.