Ein Militärseelsorger über seine schwierige Arbeit in Kundus

"Wenn der Tod zuschlägt, sieht alles anders aus"

Seit wenigen Wochen erst ist Bernd Schaller als katholischer Militärseelsorger im afghanischen Kundus stationiert. Und wird bereits mit der ganzen Härte des Bundeswehr-Einsatzes konfrontiert. Kurz nach dem tödlichen Anschlag auf vier deutsche Soldaten in der Region Baghlan etwa 100 Kilometer südlich von Kundus spricht der 48-Jährige über seine Arbeit und die Stimmung in der Truppe.

Pfarrer Bernd Schaller: Für unsere Soldaten im Einsatz (KNA)
Pfarrer Bernd Schaller: Für unsere Soldaten im Einsatz / ( KNA )

KNA: Herr Schaller, wie ist im Moment die Situation vor Ort?
Schaller: Bei den Soldatinnen und Soldaten herrscht eine große Betroffenheit. Wir spüren ganz viele unterschiedliche Reaktionen von Wut bis zu der Frage: warum, warum jetzt? Wir wollen hier doch nur helfen und kriegen ständig im wahrsten Sinne des Wortes Feuer. Viele ziehen sich auch zurück.

KNA: Können sich die Soldaten in einer solchen Lage überhaupt noch motivieren?
Schaller: Es wir ja oft ein bisschen gelächelt, wenn wir innerhalb der Bundeswehr von Kameradschaft reden. Aber das ist hier tatsächlich ein ganz tragfähiger Begriff und mehr als das. Die Soldaten sagen sich: «Unsere Kameraden sind rausgegangen und haben jetzt eine Menge schlimmer Dinge erlebt. Manche haben ihr Leben verloren. Wir gehen weiterhin raus, das sind wir allein schon unseren Kameradinnen und Kameraden schuldig.» Und auf der anderen Seite wissen die Soldaten, dass sie hier sind zum Einsatz und um den Leuten zu helfen. Daraus schöpfen sie ihre Motivation.

KNA: Und was ist mit den in Deutschland geführten Diskussionen über einen möglichen Truppenabzug?
Schaller: Natürlich stellt sich den Soldaten auch hier immer wieder die Frage: Wie sinnvoll ist unser Einsatz? Aber ob den Diensthabenden hier vor Ort mit vagen Überlegungen zum Thema Truppenabzug geholfen ist, steht auf einem anderen Papier. Unter solchen Diskussionen kann jedenfalls die Befindlichkeit der Soldaten schon leiden.

KNA: Wo sehen Sie Ihre Aufgaben als Militärpfarrer?
Schaller: Ich bin überwiegend da, um Hilfe anzubieten, als Gesprächspartner zur Verfügung zu stehen - und immer wieder zuzuhören. Zudem feiern wir natürlich Gottesdienste oder bieten Rückzugsmöglichkeiten an, zum Beispiel in einem Raum der Stille.

KNA: Gehen Sie auf die Soldaten zu? Oder kommen die Soldaten zu Ihnen?
Schaller: Es ist beides. Da sind natürlich auch andere Ansprechpartner, etwa die Truppenpsychologen, die ähnlich wie ich vom Einsatz zurückkehrende Soldaten empfangen und als Ansprechpartner zur Verfügung stehen. Aber auf der anderen Seite gibt es eben auch genügend Soldatinnen und Soldaten, die zu mir kommen in die «Gottesburg», wie hier das Seelsorgezentrum heißt.

KNA: Nach den beiden Anschlägen in der Nähe des Feldlagers in Kundus rückt der Tod immer mehr in greifbare Nähe. Sind die Soldatinnen und Soldaten gut auf das Thema vorbereitet?
Schaller: Ich denke, unsere Soldatinnen und Soldaten sind da Kinder unserer Zeit, so wie Du und ich. Wenn wir mal ganz ehrlich nachhaken bei uns selber, dann stellen wir uns ja auch dem Thema Tod nicht immer so, wie man das vielleicht noch vor 30 oder 40 Jahren getan hätte. Und damit sind natürlich die Soldatinnen und Soldaten zunächst auch nicht besser vorbereitet. Die Frage ist, inwieweit man überhaupt die Möglichkeit hat, sich auf den Tod vorzubereiten.
Natürlich kann ich vieles theoretisch wahrnehmen, ich kann manches an Ausbildung mitnehmen. Aber wenn der Tod dann zuschlägt, dann sieht es doch ganz anders aus, als in einer Übung, als in einem Lehrvortrag, als in dem, was ich gelesen habe.

KNA: Wie gehen Sie selbst mit der Problematik um?
Schaller: Erstens habe ich im Vorfeld schon eine gewisse Erfahrung mitgebracht aus meiner Zeit als Notfallseelsorger. Von daher bin ich mit vielen Dingen, was den Bereich Tod und die Begleitung bei Todesfällen betrifft, nicht ganz unbedarft. Zum anderen bekommen wir als Militärpfarrer eine gute Ausbildung für den Einsatz. Trotzdem bin ich natürlich dankbar, wenn ich abends auf die Stube gehe und weiß, heute ist es ruhig geblieben, heute sind unsere Soldatinnen und Soldaten unbeschadet heimgekommen.

Interview: Stefan Klinkhammer