Kardinal Meisner zieht Bilanz nach fünf Jahren Benedikt XVI.

"Kontinuität gewahrt"

Der Kölner Erzbischof Joachim Kardinal Meisner ist ein enger Vertrauter Papst Benedikt XVI. Fünf Jahre nach dessen Amtsantritt zieht Meisner im Interview der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA) eine Bilanz über das bisherige Pontifikat.

 (DR)

KNA: Herr Kardinal, nach dem Konklave vor fünf Jahren sah man Ihnen die Freude über die Wahl von Kardinal Joseph Ratzinger zum Papst an. Haben sich die Hoffnungen erfüllt, die Sie damals in den neuen Papst setzten?

Meisner: Ganz und gar. Schon bei der Beerdigung von Johannes Paul II. war ich wie viele andere davon überzeugt: Der aufgebahrte Papst vor und Kardinal Ratzinger hinter dem Altar - das ist eine Symbiose. Johannes Paul II. hat selbst immer wieder gesagt, dass er das theologische Profil seines Pontifikats zum großen Teil Kardinal Ratzinger verdanke. Benedikt XVI. hat die Kontinuität zum großen gesegneten Pontifikat seines Vorgängers gewahrt. Ich freue mich heute noch, wie schnell und eindeutig das Konklave über die Bühne gegangen ist.

KNA: Sie haben ja ein ganz persönliches Verhältnis zu Benedikt XVI. - beim Weltjugendtag 2005 war er Gast in Ihrem Haus. Wie sehr belastet ihn das Papstamt?
Meisner: Wenn ich mir vorstelle, mit 78 Jahren eine solche Last aufgebürdet zu bekommen, würden mir die Knie weich werden. Beim Treueeid im Konklave dachte ich: Mein Gott, ein schwacher Mensch wird Hirte von 1,2 Milliarden Menschen. Aber Benedikt XVI. ähnelt da ganz Johannes Paul II. und trägt diese Verantwortung in großem Gottvertrauen. Bei der Papstwahl handelt es sich ja um eine Erwählung durch Gott. Benedikt XVI. ist nicht Papst durch die Gnade der Kardinäle, sondern er ist Papst von Christi Gnaden. Die Kardinäle im Konklave sind nur das Instrumentarium, in dem sich der Wille Gottes manifestiert. Der Petrusdienst geht eigentlich über das menschliche Maß hinaus. Aber Gott trägt den, den er belastet. Ich habe - auch beim Weltjugendtag - einen fröhlichen und hoffnungsvollen Papst erlebt.

KNA: Wie findet er seinen Ausgleich?
Meisner: Natürlich ist auch der Papst ein Mensch, der essen und gut schlafen muss. Der seine Ruhe findet etwa beim Rosenkranzgebet in den vatikanischen Gärten. Aber auch die Theologie ist ihm als große Bereicherung geblieben. Und er ist außerdem ein sehr musikalischer Mensch. Wenn ich ihn besuche, fällt mir immer wieder auf, dass an seinem Klavier immer andere Noten liegen - etwas nach der Jahreszeit ausgewählt. Das heißt: Er spielt tatsächlich auf seinem Klavier. Da kann man sich manchen Kummer auch mal runterspielen, aber auch manche Freude.

KNA: Was aus den ersten fünf Jahren dieses Pontifikats wird nach Ihrer Meinung in die Kirchengeschichte eingehen?
Meisner: An erster Stelle steht da der Kölner Weltjugendtag. Diese erste Auslandsreise als Papst führte ihn in seine Heimat, aber es war ja ein weltkirchliches Großereignis. Auch als Gelehrter ist es ihm gelungen, einen Draht zu den jungen Menschen zu finden und ihnen die Fülle des Evangeliums überzeugend zu vermitteln. Viele junge Menschen leben davon heute noch.

KNA: Welche theologischen Akzente hat er gesetzt?
Meisner: Benedikt XVI. ist ein Theologe, wie ihn der liebe Gott nur alle 100 Jahre schenkt. Manchmal kommt er mir vor wie einer der großen Kirchenväter. Das zeigt sich bei seinem Jesus-Buch, das ihm sehr am Herzen liegt und das er trotz der Belastungen während seines Pontifikats geschrieben hat. In dem Buch zeigt sich die theologische Qualität seines Pontifikats. Benedikt XVI. macht darin deutlich, dass die Kirche mit Christus steht und fällt und dass der historische Jesus und der Jesus des Glaubens identisch sind. Das ist einer der wichtigsten Dienste, die dieser Papst der Kirche geschenkt hat.

KNA: Nach der «Wir-sind-Papst»-Euphorie hat Benedikt XVI. inzwischen keine so gute Presse mehr. Woran liegt das?
Meisner: Die Euphorie des Anfangs kann natürlich nicht auf Dauer bleiben. Aber Benedikt XVI. schlägt nach wie vor große Sympathie entgegen. Zu den Papstaudienzen kommen mehr Pilger als im letzten Drittel des Pontifikats von Johannes Paul II. Das ist eine Abstimmung mit den Füßen. Nur: Ich schäme mich für uns deutsche Katholiken, wie wir den Papst behandeln. Wie gerade auch deutsche Theologieprofessoren und Medien, auch katholische, hierzulande mit dem Papst umgehen. Wenn ich in Rom bin, werde ich von Bischöfen anderer Länder gefragt: Was ist denn mit euch Deutschen los? Wir sind glücklich über einen solchen Papst - und wie behandelt ihr ihn?
Da kann ich nur zustimmen.

KNA: Nach Bekanntwerden der Missbrauchsfälle wurde der Papst auch persönlich kritisiert...
Meisner: Ich finde es unredlich, ihm Versäumnisse oder inkonsequenten Umgang mit pädophilen Priestern anzuhängen. Und man braucht dem Papst nicht ins Gewissen zu reden, damit ihm aufgeht, was für ein Unheil jungen Menschen da angetan wurde. Der Papst, der nun den Kopf für die ganze Weltkirche hinhalten muss, tut mir von Herzen Leid. Aber ich stelle mich als Bischof und besonders als Kardinal gleich neben ihn. In meinen 35 Bischofsjahren habe ich noch nie einen solchen Tiefpunkt und eine solche Belastung für die Kirche erlebt wie derzeit.

KNA: Manche meinen, dem Papst sei mehr an der Einheit mit traditionalistischen Gruppierungen wie der Piusbruderschaft gelegen und weniger an der Ökumene mit den reformatorischen Kirchen. Täuscht der Eindruck?
Meisner: Das ist reine Unterstellung. Schon als Kardinal war ihm von Johannes Paul II. aufgetragen, mit den Piusbrüdern zu reden. Er konnte damals die Spaltung nicht verhindern. Wenn er nun 30 Jahre später Hoffnungssignale gesendet bekommt, dass diese Gruppe in die Gemeinschaft der Kirche zurückzuholen ist, dann muss er dem als Papst nachgehen. Es ist seine Aufgabe, die Einheit der Kirche zu wahren. Und zur Ökumene: Die orthodoxe Kirche war noch nie so glücklich über einen Papst wie jetzt. Ihnen kommt Benedikt XVI. in seiner Theologie so nahe, dass eine Einigung zwischen orthodoxer und katholischer Kirche in absehbarer Zeit möglich erscheint.

KNA: Die reformatorischen Kirchen nehmen die Ökumene aber ganz gegenteilig wahr.
Meisner: Es ist nicht wahr, dass die Ökumene mit den reformatorischen Kirchen auf Sparflamme steht und hier - wie Frau Käßmann sagte - «nichts» zu erwarten ist. Was Benedikt XVI. als Theologe mit Hinblick auf die reformatorische Ökumene seit Jahrzehnten am Studiertisch oder bei vielen Begegnungen mit Fachleuten erarbeitet hat, das macht nicht immer Schlagzeilen, verfehlt aber seine Wirkung nicht. Bei ihm ist das ökumenische Anliegen in den besten Händen.

KNA: Der Papst aus Deutschland geht viel seltener auf die aktuelle Entwicklung in Deutschland ein als der Papst aus Polen dies in seiner Heimat getan hat. Woran liegt das?
Meisner: Das muss man aus der geschichtlichen Situation heraus verstehen. Polen war seinerzeit der Kristallisationspunkt der Solidarnosc-Bewegung und damit überhaupt der ganzen Bewegung, die den Kommunismus zum Untergang gebracht hat. Ohne Johannes Paul II.
hätte es keine Solidarnosc gegeben. Und ohne Solidarnosc wäre die Berliner Mauer nicht gefallen, wie es Lech Walesa richtig formuliert hat.

KNA: Die Polen bekunden ihre Verbundenheit mit ihrem Papst Johannes Paul II. Könnte sich das Verhältnis der Deutschen zu Benedikt XVI. verbessern, wenn er noch einmal sein Heimatland besucht?
Meisner: Das weiß ich nicht. Aber wenn ich Benedikt XVI. wäre, würde ich angesichts der kritischen und ablehnenden Töne in der Öffentlichkeit nicht nach Deutschland kommen. Aber der Papst denkt vielleicht christlicher als der Erzbischof von Köln und sagt sich: Gerade weil sie mich so schlagen, komme ich.

Interview: Andreas Otto