US-Repräsentantenhaus stimmt für Gesundheitsreform

Aufatmen für Obama

Präsident Barack Obama hat die Reform des US-Gesundheitswesens durchgesetzt. Das Repräsentantenhaus stimmte am Sonntagabend mit sieben Stimmen Mehrheit für das wichtigste innenpolitische Projekt des Präsidenten. "Ein großer Fortschritt", bewertet Politikwissenschaftler Andrew Denison den Erfolg im domradio.de-Interview.

 (DR)

.Barack Obama kann aufatmen, mit ihm Millionen bislang unversicherter US-Amerikaner: Mit knapper Mehrheit beschloss das US-Repräsentantenhaus am Sonntag (Orstzeit) eine weitreichende Gesundheitsreform - gegen den heftigen Widerstand der oppositionellen Republikanischen Partei. 219 Abgeordnete stimmten für, 212 gegen das Jahrhundertprojekt des US-Präsidenten. Nun sollen in den kommenden Jahren 32 Millionen der bislang 46 Millionen unversicherten Amerikaner eine Krankenversicherung erhalten. In einer ersten Reaktion erklärte Obama, das Gesetz werde nicht alle Probleme des Gesundheitswesens lösen, aber es führe in die richtige Richtung.

Es war ein steiniger Weg für den Präsidenten und die regierenden Demokraten. Aufgebrachte Gegner hatten Obama vorgeworfen, er wolle den Sozialismus in den USA einführen. Die US-Handelskammer und konservative Verbände warnten in millionenteuren Werbespots vor der Reform. Die Anti-Reform-Lobby gab 2009 etwa 544 Millionen Dollar aus, um Stimmung gegen das Gesetz zu machen, wie das Politikforschungsinstitut «Center for Responsive Politics» errechnete. Und die 178 oppositionellen Republikaner stimmten am Sonntag geschlossen gegen das Gesetz.

Dabei ist Obamas Projekt aus europäischer Sicht eher zaghaft: Eine gesetzliche Krankenversicherung wird es auch künftig nicht geben. Obama hält an einem System fest, bei dem private Versicherungsfirmen dominieren und profitieren. Zudem tritt die Reform nur schrittweise in den kommenden vier Jahren in Kraft.

Alle US-Amerikaner müssen künftig eine Krankenversicherung abschließen. Wer das nicht tut, zahlt ab 2014 Strafe. Versicherungsfirmen, die nun mit einem einen neuen Kundenzulauf rechnen müssen, dürfen Kranke in Zukunft nicht länger diskriminieren. Bisher konnten Versicherungen Antragsteller wegen bereits bestehender Gesundheitsprobleme ablehnen und Versicherte fallen lassen, wenn die Behandlung zu teuer wurde.

Mit der Reform soll Einkommensschwachen finanziell geholfen werden, Versicherungsprämien dürfen nicht mehr willkürlich erhöht werden. Und die Bundesstaaten werden 2014 sogenannte Versicherungsbörsen einrichten, um das Versicherungswesen transparenter zu gestalten. Vorgesehen sind auch Kostenkontrollen für Pharmaindustrie, Krankenhäuser und Ärzte. Ausdrücklich ausgenommen von der Reform sind die rund zehn Millionen Menschen in den USA ohne Aufenthaltsgenehmigung.

Nicht nur die Opposition, auch viele Demokraten sind nicht besonders glücklich mit der Reform. Manchen ist das Projekt, das in den kommenden zehn Jahren 940 Milliarden US-Dollar kosten soll, zu teuer. Und Politiker vom liberalen Parteiflügel wollten auch eine staatliche Krankenversicherung, zumindest zusätzlich zu den privaten Versicherungen. Ihr Wortführer, der Abgeordnete Dennis Kucinich, stimmte aber letztendlich doch für die Reform. Ein Nein hätte Obamas Präsidentschaft schwer geschadet, und man müsse das Projekt im historischen Kontext sehen, sagte Kucinich.

Tatsächlich forderte bereits Theodore Roosevelt, Präsident von
1901 bis 1909, im Jahr 1912 eine nationale Krankenversicherung. Die Initiative zerfiel im Ersten Weltkrieg. Präsident Harry Truman (1945-1953) setzte sich ebenfalls dafür ein, er scheiterte am Protest des Ärzteverbandes gegen «sozialisierte Medizin». Bill Clinton (1993-2001) entwarf Gesetze für eine privatwirtschaftliche Krankenversicherung, fand aber keine Mehrheit im Kongress.

Obamas Reform wäre kurz vor der Abstimmung beinahe noch an einer Kontroverse über den Gesetzesparagrafen zur Abtreibung gescheitert. Einige konservative Demokraten hatten mit Rückendeckung der katholischen Bischöfe gewarnt, die Gesundheitsreform erleichtere Abtreibungen. Doch auch aus der Kirche selbst kam umgehend Widerspruch: Der Katholische Gesundheitsverband und Ordensfrauen hielten den Bischöfen entgegen, das Gesetz sei «nicht perfekt», rüttle aber nicht am bestehenden Verbot, staatliche Mittel für Schwangerschaftsabbrüche auszugeben. Um Bedenken zu zerstreuen, unterzeichnete Obama am Sonntag einen zusätzlichen präsidialen Erlass, wonach keine öffentlichen Gelder für Abtreibungen verwendet werden dürfen. So wurden auch Abtreibungsgegner unter den Demokraten dazu gebracht, der Reform zuzustimmen.