Wiens Kardinal Schönborn spricht Tacheles

Selbstmitleid unangebracht

Kardinal Christoph Schönborn hat sich angesichts der Fälle sexuellen Missbrauchs in der katholischen Kirche gegen Selbstmitleid in der Kirche gewandt. Auch wenn es schmerzlich sei, müssten die Mitglieder der Kirche in diesen Tagen Anfeindungen aushalten. "Es muss uns zuerst um das Leid der Opfer und nicht um die eigene Befindlichkeit gehen", sagte Schönborn bei einer Pressekonferenz in Wien.

 (DR)

Es sei ihm klar, dass alle Menschen, die sich aktiv zur katholischen Kirche bekennen und für die Missbrauchsfälle keine Verantwortung tragen, mit schmerzlicher Kritik und Anfeindungen konfrontiert würden. Aber: "Das sind
'Peanuts' im Vergleich zu dem, was die Missbrauchsopfer oft ein
Leben lang zu ertragen haben", sagte der Kardinal.

Die Kirche stelle sich der Realität von Missbrauchsfällen, so
Schönborn. Man wolle offen und ehrlich damit umgehen und nichts
vertuschen.

Der Kardinal wies erneut auf die im Rahmen der Bischofskonferenz
beschlossenen Maßnahmen hin. Die diözesanen Ombudsstellen sollten in
Zukunft noch besser vernetzt werden und besser mit zivilen
Organisationen, die sich um Missbrauchsopfer und Täter kümmern,
zusammenarbeiten. Und die Kirche plane auch hinsichtlich der
Prävention von Missbrauchsfällen weitere Maßnahmen. Dies wolle man
in den nächsten Wochen umsetzen, kündigte der Kardinal an: "Wir
können nie ein Garantie abgeben, aber wir können alles
Menschenmögliche versuchen, damit so etwas nicht wieder vorkommt."

Das Thema "Missbrauch" sei "auch ein gesellschaftliches Problem,
nicht nur ein kirchliches", sagte Schönborn. Dies entschuldige
Missbrauchsfälle in der Kirche freilich in keiner Weise: "Dass die
katholische Kirche besonders kritisch angesehen wird, liegt an den
hohen moralischen Ansprüchen, die sie stellt."

Zölibat nicht infragegestellt

"Wenn der Zölibat der Grund für sexuellen Missbrauch wäre, dürfte es
überall dort, wo es den Zölibat nicht gibt, auch keinen Missbrauch
geben", antwortete der Kardinal auf eine Journalistenanfrage zur
Zölibatsdebatte. Er wies erneut Medienberichte zurück, wonach er
selbst den Zölibat infragegestellt habe. In seinem Kommentar für das
Wiener diözesane Mitarbeitermagazin "thema kirche" habe er vor allem
auf die Priesterausbildung abgezielt, betonte Schönborn.

Das Missbrauchsproblem stehe in engem Zusammenhang mit der
persönlichen Reife von Menschen, so Schönborn. "Zur persönlichen
Reife jedes Menschen gehört auch die Integration und der Umgang mit
Sexualität - egal in welcher Lebensform", betonte der Kardinal. Die
Kirche müsse sich allerdings fragen, ob die Integration von
Sexualität für die persönliche Reife in den Priesterseminaren
genügend thematisiert worden sei. Zwar habe man schon in den letzten
Jahren sehr bewusst darauf geachtet, aber: "Vielleicht zeigen uns
die Missbrauchsfälle, dass es noch besser gemacht werden muss." Ziel
der Priesterausbildung sei eine freie Entscheidung zum Zölibat und
die Förderung der dafür notwendigen menschlichen Reife, so der
Kardinal.