Prof. Dr. Marianne Genenger-Stricker zur Missbrauchs-Prävention

"Es gibt nicht das Tätermonster"

Es vergeht kaum ein Tag, ohne dass neue Missbrauchsfälle bekannt werden. Das Phänomen des sexuellen Missbrauchs ist offensichtlich viel verbreiteter, als angenommen. Wie gehen katholische Ausbildungsstätten mit diesem Thema um?

 (DR)

Frau Dr. Marianne Genenger-Stricker ist Professorin für Erziehungswissenschaften und Dekanin der Katholischen Hochschule für soziale Arbeit in Aachen. Im Interview mit domradio erklärt sie, dass das Thema Missbrauch fest in der Studienordnung verankert sei. Dabei würden sowohl das theoretische Wissen über die Folgen des Missbrauchs vermittelt, als auch Präventionsmaßnahmen vorgestellt: "Wir versuchen methodische Handlungskompetenz zu vermitteln". Es gehe aber auch um die psychologische Betreuung der Täter. Genenger-Stricker betonte, dass es an der Hochschule sehr wichtig sei, eine professionelle Haltung vermitteln: "Wir bieten Orte an,  an denen sich die Studierenden mit ihrer eigenen Person, ihren Beziehungen und  mit ihren Männlichkeits- und Weiblichkeitsbildern auseinandersetzen können."

Auf die Frage nach der Prävention sagt Genenger-Stricker, dass die Hochschule zum einen in der Arbeit mit Kindern und Jugendlichen eine geschlechtsensible Pädagogik verfolge. Das bedeute, in der Praxis offen mit dem Thema der Sexualität umzugehen und dabei die körperliche Selbstbestimmung der Kinder und Jugendlichen zu fördern. Nur so könnten sie sich in Gefahrensituationen zur Wehr setzten.

Missbrauch-Checkliste
Außerdem sei es wichtig, die Fachkräfte gut vorzubereiten, um Gefahren-Situationen bei Kollegen zu erkennen: Eine interne Checkliste für alle Mitarbeiter könne helfen. Die sozialen Institutionen sollten standardisierte Verfahren einführen, um solche Fälle zu vermeiden. Klare Absprachen bis zur schriftlichen Selbstverpflichtung seien grundlegend, betont Genenger-Stricker. Wichtig sei es außerdem, eine unabhängige Beschwerdestelle nicht nur für die Schüler, sondern auch für die Mitarbeiter einzurichten.

"Es gibt nicht das Tätermonster" erwidert Frau Genenger-Stricker auf die Frage, ob es möglich sei, Leute mit krankhaften Neigungen während des Studiums herauszufiltern. "Das sind ganz normale Menschen, das erfahren wir immer wieder, die auch freundlich zugewandt sind." Im Vorhinein könne man da von Außen kaum etwas sagen. Aber es sei ja erforscht, dass Menschen, die selbst sexuell missbraucht wurden, in der Gefahr stünden, später auch zu missbrauchen. "Da spielt das Moment der Macht eine große Rolle. Überhaupt geht es beim sexuellen Missbrauch um das Ausspielen von Macht im Kontext zu Abhängigen", so Genenger-Stricker

An der Aachener Hochschule gebe es deshalb eine psychologische Beratung, für diejenigen, die Neigungen bei sich entdeckten. Die Studierenden würden auch oft dazu motiviert, die Möglichkeiten der Eigenreflexion und die Entscheidung zur Therapie wahrzunehmen.

Auf die Frage, ob sie schon Studierenden geraten habe, nicht in der Jugendarbeit tätig zu werden, erklärt Genenger-Stricker, dass es bereits zum Studienbeginn das Seminar "berufbezogenene Selbsterfahrung" gebe. Dort würde das Thema des sexuellen Missbrauchs angesprochen. Später im Studium seien zudem Supervisionen vorgeschrieben, bei denen auch nochmal nachgefragt würde.