Schavan: Kein Runder Tisch allein zum Missbrauch in Kirche

Gesamtgesellschaftliches Problem

Bundesbildungsministerin Annette Schavan hat einem Runden Tisch allein zum sexuellen Missbrauch in kirchlichen Einrichtungen eine Absage erteilt. Ein Runder Tisch könne eine richtige Sache sein, sagte sie am Sonntag. Daran werde aber als Teilnehmer "ganz gewiss" nicht nur die katholische Kirche sitzen. Gewalt und Missbrauch seien nicht allein Thema in kirchlichen Einrichtungen.

 (DR)

Ebenfalss in der Sendung "Berlin direkt" bekräftigte Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) in einer vorproduzierten Stellungnahme ihre Forderung, der Runde Tisch solle sich ausschließlich mit dem Missbrauch im katholischen Kontext befassen. Es gehe nicht darum, ein allgemeines Gespräch über Missbrauch zu führen, meinte sie. Im Zentrum müsse stehen, die Opfer in den Blick zu nehmen und mit ihnen zu reden.

"Keineswegs ein Kirchenthema"
Schavan meinte dazu, ihre Justiz-Kollegin habe sich wohl vor diesem Wochenende geäußert; zur Begründung verwies sie auf das jüngste Bekanntwerden zahlreicher massiver Missbrauchsfälle an einer nichtkirchlichen Privatschule im hessischen Heppenheim. Die CDU-Politikerin erklärte, solche Verbrechen und Übergriffen seien keineswegs ein Kirchenthema. Vielmehr seien pädagogische Institutionen weit über die katholische Kirche hinaus tangiert. Zugleich plädierte sie für eine Verlängerung von Verjährungsfristen.

Auch der Beauftragte für Missbrauchsfälle der Deutschen Bischofskonferenz, Bischof Stefan Ackermann, wandte sich gegen den Ansatz Leutheusser-Schnarrenbergers. Wenn es einen Runden Tisch gebe, dann müssten dazu alle Akteure eingeladen werden, sagte er. Zugleich bekräftigte er, die katholische Kirche reklamiere für sich nicht einen Raum jenseits des staatlichen Rechts. Deshalb sei eine Präzisierung der bischöflichen Leitlinien zum Missbrauch von 2002 zu erwägen. Die Justizministerin betonte ihrerseits die Forderung an die Kirche, die Richtlinien zu überarbeiten. Es müsse klar sein, dass bei Missbrauchsfällen die Staatsanwaltschaft zu informieren sei.


Rückendeckung erhielt diese Position von Familienministerin Kristina Schröder (CDU) und SPD-Generalsekretärin Andrea Nahles, die sich für einen Runden Tisch aussprachen, der das Thema Missbrauch in einer erweiterten Perspektive angehen soll. Das Problem sei in der Gesellschaft verbreiteter als bisher bekannt, sagte Nahles der Zeitschrift «Superillu».


Lob für Willen zur Aufklärung
Schavan, die selbst katholisch ist, sagte, das nun bekanntwerdende Ausmaß an Demütigung, Gewalt und Missbrauch von Kindern hätte sie sich nicht vorstellen können. Die Kirche in Deutschland zeige sich aber zu lückenloser Aufklärung und zur Zusammenarbeit mit dem Staat sehr entschlossen. Es werde zwischen Kirche und Regierung sicher Gespräche darüber geben, wie das Vertrauen in kirchliche Schulen wiederherzustellen sei. Dabei müsse die Perspektive der Opfer im Mittelpunkt stehen. Das Verhältnis von Kirche und Staat, so die Bildungsministerin, sehe sie durch die Vorgänge nicht belastet.

Der Vatikan drängt bei Missbrauchsfällen auf energisches Durchgreifen. Oberstes Ziel müsse es sein, "möglichen Opfern Gerechtigkeit widerfahren zu lassen", hieß es in der Vatikanzeitung "Osservatore Romano" (Sonntag). Der Heilige Stuhl sei "dankbar für das Bemühen um Klarheit innerhalb der Kirche". Zugleich sei zu erhoffen, "dass ebensolche Klarheit auch in anderen öffentlichen und privaten Einrichtungen geschaffen wird, wenn das Wohl der Kinder wirklich allen am Herzen liegt".

Zollitsch nach Rom
Kurienkardinal Walter Kasper reagierte mit "tiefer Enttäuschung, Schmerz und sehr großem Zorn" auf die Nachrichten über Missbrauchsfälle in Deutschland. Die Kirche müsse Klarheit schaffen, die Verantwortlichen vor Gericht bringen und die Opfer entschädigen, forderte der deutsche Kardinal in einem Interview mit der italienischen Tageszeitung "La Repubblica". Angesichts so schwerer Verbrechen an unschuldigen Minderjährigen gebe es "keinerlei Rechtfertigung, keine Toleranz".

Der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, Robert Zollitsch, betonte in einem Interview mit Radio Vatikan die Einigkeit der katholischen Kirche in Deutschland mit Papst Benedikt XVI. bei den Aufklärungsbemühungen. "Ich bin überzeugt, dass das, was wir beschlossen haben, in die richtige Richtung weist und dass wir ganz klar sagen, dass das ein furchtbares Verbrechen ist", so der Freiburger Erzbischof. Zollitsch wird am kommenden Freitag von Benedikt XVI. in Audienz empfangen.

Philologenverband: Schulen nicht unter Generalverdacht stellen
Der Bundesvorsitzende des Deutschen Philologenverbandes, Heinz-Peter Meidinger, hat nach dem Bekanntwerden zahlreicher Missbrauchsfälle an deutschen Schulen und Internaten vor übereilten Beschlüssen gewarnt. "Wir dürfen nicht alle 42.000 Schulen in Deutschland unter Generalverdacht stellen", sagte er am Montag im ZDF-"Morgenmagazin". Zwar könne an jeder Schule so ein Fall vorkommen, es gebe aber "bestimmte Umfelder, wo entsprechend veranlagte Lehrer Gelegenheit haben, mit Schülern allein zu sein, etwa Internate oder auch Ganztagsschulen, wo dann das Gefahrenpotenzial größer ist", so Meidinger.

Die Forderung nach Einberufung eines Runden Tisches zur Aufarbeitung der Missbrauchsfälle bezeichnete Meidinger als "Aktionismusreflex". Dennoch werde man natürlich hingehen und Vorschläge unterbreiten. Neben der Kultusministerkonferenz, Vertretern der Schulen, der Kommunen, des Staates, der Kirchen und der freien Träger gehörten auch Vertreter der Lehrer, Eltern und natürlich der Schülerschaft an einen solchen Runden Tisch.

Zudem sei an an jeder Schule "ein Klima der Offenheit" beim Umgang mit dem Thema nötig, sagte Meidinger. Ein Vorschlag sei auch, "dass man an jeder Schule eine entsprechende Vertrauensperson hat, die für diese Dinge Ansprechpartner ist, entsprechend auch geschult ist", sagte der Gymnasialschulleiter. Das könne nicht Aufgabe des Vertrauenslehrers sein, da dieser zu viele andere Aufgaben habe.

Präses Schneider: "Allgemeines gesellschaftliches Problem"
Der Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland, Präses Nikolaus Schneider, würdigte die Anstrengungen der katholischen Kirche um Aufarbeitung der Missbrauchskandale aus vergangenen Jahrzehnten. Es handele sich um "ein allgemeines gesellschaftliches Problem". Er sehe das Bemühen der katholischen Kirche "in großer geschwisterlicher Verbundenheit", sagte er der Tageszeitung "Die Welt" (Samstag).

Die ersten, meist weit zurückliegenden Missbrauchsfälle waren Ende Januar am Canisius-Kolleg der Jesuiten in Berlin bekanntgeworden. Mittlerweile wurden aus mehreren Einrichtungen von Orden und der Mehrzahl der deutschen Diözesen Fälle aus unterschiedlichen Jahrzehnten bekannt. Vor zwei Wochen hatte Leutheusser-Schnarrenberger mit öffentlichem Zweifel am Willen der Kirche zur Aufklärung in Reihen der Bischöfe für Empörung gesorgt.

Wolfsburger Priester räumt Verfehlung ein
Unterdessen räumte der vom Bistum Hildesheim suspendierte Wolfsburger Priester eine Verfehlung ein, stellt aber sexuellen Missbrauch in Abrede. "Das war eine Verfehlung, die ich eingestanden habe und die ich zutiefst bedauere", sagte der Geistliche den "Wolfsburger Nachrichten" (Montagausgabe) laut Vorabbericht. Die Tragweite des Vorfalls sei ihm damals nicht bewusst gewesen. Der Pfarrer betonte jedoch, er habe sich dem Jugendlichen nicht gegen dessen Willen genähert. Mit dem damals Minderjährigen habe ihn eine Art Partnerschaft verbunden. Erst 1984 sei der Kontakt abgebrochen. Details wollte er der Zeitung zufolge nicht nennen. Eine ähnliche Beziehung habe es weder vor 1979 noch danach gegeben, sagte er.