Wie Soldaten in Afghanistan die Monotonie des Alltags bewältigen

Der Kampf mit dem Kopf

Mit großer Mehrheit hat der Bundestag beschlossen, mehr Bundeswehrtruppen nach Afghanistan zu schicken. Das deutsche Kontingent wird damit von bislang 4500 um insgesamt bis zu 850 Soldaten erhöht. Katharina Ebel über den Alltag deutscher Soldaten am Hindukusch.

 (DR)

"Willkommen in Afghanistan! Passen Sie gut auf sich und Ihre Kameraden auf", schallt es durch die Hercules, dann setzt das Transportflugzeug auf der holprigen Piste in Faizabad auf. Die Soldaten schultern ihre Rucksäcke, um ihren Dienst im Wiederaufbauteam der Bundeswehr in Afghanistan anzutreten. "Provincial Reconstruction Team", PRT, heißt die Truppe im Militärjargon.

Vier bis sechs Monate werden sie von nun an jeweils zu dritt in Containern leben. Dienst ist jeden Tag, die Schicht dauert zwölf Stunden. Das Feldpostamt hat viel zu tun. "In E-Mails teile ich nur das Nötigste mit, aber in Briefen schreibe ich mir alles von der Seele," berichtet Oliver. Er gibt ein Päckchen für seinen kleinen Sohn mit Spielzeug und Fotos auf, damit ihn wenigstens etwas an seinen Papa erinnert.

Im Lager selbst, rund zehn Kilometer außerhalb der Stadt, erinnert nur wenig an die Gefahr des Einsatzes: Der Alkoholkonsum ist auf zwei Dosen Bier oder zwei Gläser Wein am Tag beschränkt. Jeden Abend um 19 Uhr schrillt eine Sirene. Probealarm. Inzwischen reagiert schon keiner mehr auf den Heulton.

So geht es Tag für Tag
Frühstück um 7 Uhr, Mittag 12 Uhr, Arbeit bis 17 Uhr, danach Abendessen und die letzte Schicht bis 19 Uhr. So geht es Tag für Tag. Die ersten Monate ist das noch kein Problem. Das Tief kommt nach dem "Bergfest", mit dem die Männer den Ablauf der ersten Hälfte ihrer Einsatzzeit feiern. "Da muss man zusehen, dass man sich wieder aus dem Sumpf zieht", berichtet Reservist Kurt B. Auf vielen Rechnern läuft ein Countdown. Jeder kennt hier die Anzahl der Tage bis zu seiner Rückkehr.

19 Uhr. Im Fitness-Studio "Gym" herrscht Hochbetrieb. Auf Laufbändern und an Hanteln schwitzen Männer und Frauen. Andere vertreiben sich ihre Freizeit auf dem Container mit fernsehen und lesen, oder sie spielen Playstation. Einige haben vor ihren Containern kleine Beete angelegt. Die Jungs von der Instandsetzung halten sich eine Schildkröte. Manche joggen eine Runde ums Camp - aber nur im Schutz von Sandsäcken und Stacheldraht.

Ein Soldat bringt es auf den Punkt: "Eigentlich tun wir hier nichts anderes als zu Hause auch, mit einem Unterschied- wir sind in einem Käfig gefangen, wir können das Feldlager nicht verlassen." Am meisten kämpfe er mit seinem Kopf: mit der Monotonie immer gleicher Abläufe, der Enge. Das Lager verlassen die Soldaten nur in gut gepanzerten Fahrzeugen und schwer bewaffnet. Mal eben über den Basar zu schlendern ist nicht drin. Und die nicht kämpfenden Truppenangehörigen kommen überhaupt nicht raus. Das schlaucht die Psyche mehr als die Lebensgefahr, die von den Taliban ausgeht, sagt PRT-Kommandeur Martin Lütje.

"Die Familien leiden meist stärker als die Soldaten"
Viele Soldaten haben vor ihrem Einsatz abgesprochen, dass Probleme zu Hause bleiben, weil sie "funktionieren" müssen. Das ist schnell Theorie, wenn zu Hause die Waschmaschine streikt, der Sohn eine Fünf in Mathe heimbringt oder das Auto kaputtgeht. Dann ist die "Mutter der Kompanie" gefragt. Spieß Peter M. vermittelt bei Problemen, passt auf, dass die Soldaten nicht Trübsal blasen. "Die Familien leiden meist stärker als die Soldaten und sind teilweise mit der Situation extrem überfordert", erzählt er. Wenn es gar nicht anders geht, rät er den Vorgesetzten, einen Soldaten vorzeitig wieder nach Hause zu schicken.

Major Hubertus H. ist stolz auf seine Söhne. "Sie haben zu Hause meinen Part übernommen, schieben zum Beispiel Schnee, das läuft gut." Seine Frau übt sich in Zweckoptimismus: Es sind nur wenige, die nicht gesund zurückkommen. So erzählt der Major seiner Frau auch, wann er auf Patrouille geht. Die dauert manchmal mehrere Tage. Über die Gefahrenlage schweigt er lieber. "Da macht sie sich nur Sorgen und kann doch nichts ändern."

Und dann ist der ersehnte Tag X endlich da. "PRT Faizabad stillgestanden!" befiehlt der Kommandeur. Marschmusik tönt aus den Lautsprechern am Appellplatz. Mit der Einsatzmedaille dankt die Bundeswehr den Soldaten für ihr Engagement. Ein letztes Bier zum Abschied mit den Kameraden, dann besteigen sie den Flieger.