Pfarrer Franz Meurer zur Hartz- und Sozialdebatte

"Es geht um Anteilnahme"

Seit genau einer Woche diskutiert Deutschland die Folgen des Karlsruher Hartz-IV-Urteils, angeheizt durch die Polemik von Vize-Kanzler Westerwelle. Was das Leben mit Hartz IV bedeutet, weiß Franz Meurer sehr gut, er ist Pfarrer einer sozial schwachen Gemeinde. Im domradio-Interview sagt er, worauf es im Wesentlichen bei der Debatte ankommt.

 (DR)

domradio: Die Vorschläge der Bundesagentur für Arbeit beziehen sich auf eng begrenzte Fälle, zum Beispiel sollen chronisch Kranke auch nicht verschreibungsfähige Arzneimittel bezahlt bekommen und Rollstuhlfahrer sollen Kosten für Haushaltshilfen geltend machen können. Sind Sie mit den Härtefall-Zusatzleistungen zufrieden?
Meurer: Es ist ein Anfang, zufrieden bin ich erst dann, wenn wir erkennen - nicht nur die Christen, sondern auch die Gesellschaft - dass alleine das Wort Härtefall schrecklich ist. Der Sozialstaat muss zunächst einmal Schicksalskorrekturen anbringen für Kinder und selbstverständlich sich nach dem Sozialstaatsprinzip um alle Menschen kümmern, die krank sind oder nicht richtig mitkommen. Zum Beispiel geht das aber nie, ohne dass wir praktisch anpacken. Wir haben zum Glück seit zwei Monaten ein Auto, mit dem wir Rollstühle transportieren können. Da ist die Gemeinde froh. Endlich können Menschen auch sonntags mit in die Kirche kommen, die sonst zuhause bleiben müssen.

domradio: Bundesarbeitsministerin Ursula von der Leyen sagte, als Härtefälle sollen ausschließlich "wiederkehrende, außergewöhnliche Belastungen" gelten. Inwiefern reicht das an Hilfe aus?
Meurer: Mit Hartz IV kommt nur eine bürgerliche Familie aus. Es wird ein unglaublicher Aufwand verlangt, eine unglaubliche Selbstdisziplin, um das Leben einzuteilen. Bei uns sind über die Hälfte der Kinder arm, in Köln übrigens ein Viertel. Ich weiß genau, wovon ich spreche. Heute waren schon zig Leute da, die einfach nichts mehr haben nach Karneval. Ein Beispiel: Wie soll eine Familie mit Hartz IV einen Schulranzen kaufen? Wir haben im Frühjahr 300 gekauft und verteilen die im Augenblick. Wie soll eine Familie mit Hartz IV eine Waschmaschine ersparen? Das wird sich nämlich nicht ändern. Das geht überhaupt nicht. Das könnte man nur, wenn man sein Geld ganz genau bis ins Letzte einteilt. Und liegt das eigentliche Problem: Manche Menschen verwahrlosen leider, wenn sie keine Arbeit haben. Der Papst hat schon 1959 gesagt: Der Mensch ist zur Arbeit geboren, wie der Vogel zum Flug. Ein Mensch, der nicht arbeiten kann, der verliert seinen Lebenssinn. Wir als Christen müssen noch ein bisschen tiefer anpacken und müssen schon die Frage stellen, ob wir auf Dauer akzeptieren können, dass nicht jeder, der will, wirklich Arbeit bekommt. Und genau das war das Versprechen von Hartz IV.

domradio: Was fordern Sie konkret bezüglich der Hartz-IV-Regelungen?
Meurer: Ich fordere, dass eindeutig Kinder weiter in Mittelpunkt stehen. Ich fordere das, was die Richter in Karlsruhe gesagt haben: mit legislativer Sorgfalt vorzugehen, das haben sie dreimal unterstrichen. Das Sozialstaatsprinzip kommt ja zum Glück wieder neu in den Vordergrund. Aber viel wichtiger als zufordern ist, dass wir Christen einfach vor Ort es vormachen. Wir lassen Familien nicht alleine! Alleinerziehende Mütter mit ihren Kindern nicht hängen! Wenn der Vater arbeitslos ist! Wir machen nicht das, was Ausgrenzung bedeutet! Hartz IV war das Versprechen, dass kein Mensch überflüssig ist. Geld ist wichtig, die neuen Regelungen sind auch gut, die neuen Überlegungen, was Kinder in der Schule brauchen, sind prima - aber wenn wir Christen nicht zusätzlich das Geschenk der Anteilnahme geben, dann geht es nicht voran.

Das Gespräch führte Aurelia Plieschke.