Junge Männer pflegen einen alten Brauch zum chinesischen Neujahr

Leidenschaftlicher Löwentanz in Malaysia

Chinesen sind in Malaysia die zweitgrößte ethnische Bevölkerungsgruppe. Dieses Neujahr feiern sie nicht ganz unbeschwert: Teile der malaiisch-islamischen Regierungspartei schüren eine nationalistische Stimmung unter den ethnischen Malaien, die 60 Prozent der Bevölkerung stellen. Zu Besuch bei der "Catholic High School Alumni Association Lion Dance Troupe".

Autor/in:
Michael Lenz
 (DR)

Das ist noch einmal gut gegangen. Der junge Mann im Löwenkopf ist aus anderthalb Metern Höhe abgestürzt; doch dank der dicken Matratzen auf dem Boden hat er sich nicht verletzt. Die Musikanten in ihren gelben Hemden spielen einfach weiter auf ihren Trommeln und Zimbeln. Wee Hong, der Tänzer im Hinterteil des Löwenkostüms, steht oben auf einer der kleinen runden Plattformen, die auf Eisenpfosten befestigt sind. Der gestürzte Tänzer Shang Shen rappelt sich auf, klettert zurück zu seinem Partner, schlüpft flink wieder in seinen Löwenkopf, und der Tanz auf den zwölf Pfosten geht weiter. Der grün-weiße Löwe macht Männchen, verbeugt sich, wackelt mit dem Hinterteil, klimpert mit den Augen, stellt die Ohren auf, springt hin und her.

«Das ist noch ein junger Löwe», kommentiert Max Chooi den Absturz beim nächtlichen Training auf dem Schulhof der «Catholic High School» in Petaling Jaya, der Schwesterstadt von Kuala Lumpur. «Die beiden tanzen erst seit drei Jahren.» Chooi ist der Sekretär der Löwengruppe, deren 25 Mitglieder allesamt ehemalige und gegenwärtige Schüler der Schule sind. Stolz nennen sie sich «Catholic High School Alumni Association (CHSAA) Lion Dance Troupe», auch wenn die meisten Buddhisten sind. «Die Ausbildung an der katholischen Schule ist besser als an staatlichen», sagt der 22-jährige Chooi, selbst ein Ehemaliger, der jetzt bei einem internationalen Wirtschaftsprüfungsunternehmen arbeitet.

Die uralte Tradition des Löwentanzes gehört zum chinesischen Neujahr wie das Amen in die Kirche. Das Ritual soll Götter, Drachen und Geister gnädig stimmen, das Böse vertreiben und im neuen Jahr Glück und Wohlstand bringen. Der chinesische Fabellöwe ist nicht mit seinem afrikanischen Vorbild zu vergleichen. Er ist ein liebes, buntes, drollig anzusehendes Wesen. So ganz anders als sein afrikanisches Vorbild lebt der chinesische Löwe von Gras, Mandarinen und Pomelos, allesamt Glückssymbole aus der chinesischen Mythologie.

Jetzt zum chinesischen Neujahr hat die CHSAA mit mehr als 50 Auftritten in gerade mal fünf Tagen Hochsaison. Die Eltern der Löwentänzer sehen das anstrengende Hobby ihrer Sprösslinge ungern. «Meine Eltern halten das für Zeitvergeudung. 'Was nutzt dir das? Mit alten Traditionen kommt man in der modernen Welt nicht weiter', sagen sie», erzählt KC Fong, ein «alter Löwe», der mit seinem Tanzpartner Yap Kok Fai seit zehn Jahren ein Löwenteam bildet. Der 26-Jährige weiß aber genau, was ihm sein Löwenleben bringt: Spaß.

Aber es bildet auch den Teamgeist und stellt hohe Ansprüche an Disziplin und Kreativität, findet KC Fong und sagt: «Man lernt, nach einem Absturz wieder aufzustehen.»

Mit Sorge sehen Eltern und Lehrer der Schule die gesundheitlichen Risiken der Löwentänzerei. Nicht jeder Absturz geht glimpflich aus. Ausgeschlagene Zähne, angeschlagene Köpfe, gebrochene Knochen, innere Verletzungen aber nehmen die 15- bis 28-jährigen Jungs für ihr Hobby in Kauf. «Das Wichtigste beim Löwentanz ist Leidenschaft», betont Fong.

Löwentanz ist Schwerstarbeit. Der «Kopf» Shang Shen und das «Hinterteil» Wee Hong müssen unter dem dicken Löwenkostüm nicht nur tanzen, von Pfosten zu Pfosten springen, Pirouetten drehen und Luftsprünge wagen. Mit den Händen muss Shang Shen auch Augen, Ohren und Maul des Löwen bedienen und Yap Kok Fai wie ein Eiskunstläufer seinen Partner an die Hüften greifen, um in luftiger Höhe elegante Hebefiguren vorzuführen. Nach zehn Minuten sind beide schweißgebadet, aber überglücklich, trotz des Absturzes. Shang Shen strahlt: «Es ist immer wieder toll.» Na denn, Gutes Neues Jahr, oder auf chinesisch: Gong Xi Fa Cai.