Deutsche Ärztin versorgt Straßenkinder in Port-au-Prince

"Docteur Baba" bei den Barfüßigen

Mehr als 200 000 Menschen sind nach jüngsten Schätzungen von Haitis Regierung bei dem verheerenden Erdbeben vor dreieinhalb Wochen ums Leben gekommen. 300 000 Menschen seien verletzt worden. Eine, die ihnen hilft, ist Barbara Höfler. Die Kölner Ärztin lebt und arbeitet seit 12 Jahren in Cite Soleil, den Slums von Port-au-Prince.

Autor/in:
Veronika Schütz
 (DR)

In den ersten Tagen sei sie wohl die Einzige gewesen, die sich in den Armenvierteln der Hauptstadt um die Verletzten gekümmert habe, erzählt die 71-Jährige während ihres Aufenthalts in Bonn. Die Hilfsgüter der großen Organisationen kämen bis heute nicht in den entlegenen Viertel an. Denn keiner der Hilfskräfte wagt sich in die Gegend um Cite Soleil. Für Höfler unverständlich. Und der Weg zu den Verteilstellen im Zentrum von Port-au-Prince ist für die Menschen zu weit. Die fehlende Koordination der Hilfskräfte kommt erschwerend hinzu. Auch von der Regierung sei nichts zu hören. "Das war vielerorts aber vor dem Beben schon so".

Höfler nimmt die Dinge selbst in die Hand. Vier Tage nach dem Beben ist die Ärztin für eine Woche nach Deutschland zurückgekehrt, um Spenden zu sammeln - auch für ihr Projekt: die Versorgung der Straßenkinder. Ab Sonntag wird sie wieder ihren weißen Pick-up-Truck durch Cite Soleil steuern. Die Ladefläche des Wagens ist umgebaut zu einem kleinen improvisierten Arztzimmer. Ausgestattet mit dem Nötigsten - Liege, Verbandszeug, Medikamente und OP-Besteck. Ein kleiner Vorhang schützt vor Blicken.

"Docteur Baba!" rufen ihr die Kinder schon von weitem entgegen. An bestimmten Tagen fährt Höfler verschiedene Plätze an, um dort kostenlos zu behandeln. Wie ein Lauffeuer verbreitet sich die Nachricht, dass sie wieder im Einsatz ist mit ihrer rollenden Praxis. Zwei haitianische Helfer stehen ihr zur Seite.

Wunden verbinden, Spritzen setzen
"Dort macht meine Arbeit Sinn", sagt sie. Wunden verbinden, Spritzen setzen, auch kleinere OPs gehören zu ihren täglichen Aufgaben. Insgesamt versorgt sie etwa 3.000 Straßenkinder. "Die sind natürlich nicht alle gleichzeitig krank", sagt die Ärztin. Bei größeren Eingriffen überweist sie die Kinder in Kliniken und übernimmt die anfallenden Kosten.

Nach einem Haitiaufenthalt 1997 hatte Höfler beschlossen, auszuwandern, um den Ärmsten der Armen zu helfen. Geschockt von der Not der Kinder trieb sie Spenden auf, lernte Kreolisch und eignete sich Kenntnisse in Tropenmedizin an. Ein Jahr bereitete sie sich vor, dann brach sie nach Haiti auf.

Die Behandlungen der resoluten Ärztin sind eine Mischung aus Medizin und Pädagogik. Immer wieder ermahnt sie die barfüßigen Patienten, keine Drogen zu nehmen, zu verhüten und sich zu waschen. Zusätzlich erteilt Höfler an manchen Abenden Unterricht in Hygiene, Gesundheitskunde und Umweltschutz. Ein Ausbildungsangebot für Mädchen in Nähen und Kochen gibt es außerdem. "Von ihren Eltern können sie nicht lernen, wie man einen Haushalt führt, sie haben keinen", sagt die Ärztin. Gemeinsam mit Mitgliedern des Salesianerordens leistet sie Aufklärungs- und Resozialisierungsarbeit in den Kindergärten und Schulen. Spielzeug und Lernmaterialien bringt sie aus ihrem "Heimaturlaub" in Deutschland mit.

Alles ist anders seit dem Beben
Seit dem Erdbeben ist alles anders. Die Einrichtungen sind zerstört und viele Erzieherinnen in den Trümmern umgekommen. Was übrig blieb, wurde geplündert: Computer, Möbel, Nahrungsvorräte für ein halbes Jahr, sogar das Wellblechdach wurde gestohlen. Höfler beginnt wieder bei Null.

Sie wagt keine Prognose für Haiti. Allein für den Wiederaufbau der Kindergärten und Schulen der Salesianer würden 130 Millionen US-Dollar benötigt, schätzt sie. Mit vielen Spenden im Rücken kehrt Höfler am Sonntag nach Haiti zurück. Zum ersten Mal will sie vor Ort auch Geld verteilen. "Was soll ich Nahrungsmittel ausgeben, wenn die meisten Haitianer nicht mal Holzkohle haben um zu kochen".