Der Umgang der Kirche mit dem Thema Missbrauch

"Häufig unangemessen reagiert"

Betroffenheit und Entsetzen, Empörung - und Fragen an die Kirche. Das Bekanntwerden zahlreicher Missbrauchsfälle aus früheren Jahrzehnten am Berliner Canisius-Kolleg, einer Jesuitenschule, findet bundesweit Aufmerksamkeit. Am Montag will der ranghöchste deutsche Jesuit, Pater Stefan Dartmann, sich in Berlin den Fragen auch der Medien stellen.

 (DR)

In seiner Ankündigung verwies der Provinzial der Deutschen Ordensprovinz am Samstag auf das Bemühen um Klärung - im Auftrag des Ordens und doch unabhängig von der Ordensleitung. Das entspreche Richtlinien, die die Deutsche Ordensoberenkonferenz (DOK) 2003 und 2009 erlassen habe. Der Hinweis zeigt, dass die katholische Kirche offiziell mittlerweile diverse Regularien hat, die ein konsequentes Vorgehen bei solchen Skandalen vorsehen. Das gilt für Deutschland wie für die Weltkirche, denn in den vergangenen zehn Jahren wurden vor allem die Katholiken in den USA, Australien und Irland von Skandalen erschüttert.

Zentrale Anlaufstellen auf Bistumsebene
Die Deutsche Bischofskonferenz legte nach einer Reihe von aufsehenerregenden Fällen 2002 eine Regelung zum Umgang mit Fällen sexuellen Missbrauchs Minderjähriger durch Geistliche vor. Die Leitlinien «Zum Vorgehen bei sexuellem Missbrauch Minderjähriger in der katholischen Kirche» sah die Einrichtung zentraler Anlaufstellen auf Bistumsebene vor, Hilfen für Opfer und Täter sowie Maßnahmen zur Vorbeugung. Zudem regeln sie eine erste Prüfung und Beurteilung von Missbrauchsfällen, eine kirchliche Voruntersuchung, die Information der römischen Glaubenskongregation, kirchliche Strafmaßnahmen sowie die Zusammenarbeit mit den staatlichen Strafverfolgungsbehörden. Die deutschen Orden folgten dem bald.

Damals räumten die Bischöfe ein, in der Vergangenheit bei Fällen sexuellen Missbrauchs in der Kirche oft nicht richtig reagiert zu haben. Wörtlich heißt es: «Aus fehlenden Kenntnissen über die näheren Zusammenhänge sexuellen Missbrauchs Minderjähriger wurde häufig unangemessen reagiert. Im Blick auf die Opfer bedauern wir das zutiefst.»

Entschiedener als der Vatikan
Dabei handelten die Bischöfe mit diesen Leitlinien zum damaligen Zeitpunkt entschiedener als der Vatikan. Dieser hatte zwar 2001 mit einem offiziellen Schreiben die kirchenrechtlichen Verfahren in Fällen von Pädophilie und anderen schwer wiegenden Verfehlungen von Geistlichen neu geregelt. Seitdem ist die Glaubenskongregation für solche Verfehlungen zuständig. Doch strikter agiert die Kirchenleitung erst seit dem Ponitifikatswechsel von Johannes Paul II. zu Benedikt XVI. 2005. Dazu mag zum einen die Erfahrung der US-Kirche mit dem finanziellen Niedergang ganzer Diözesen in Folge fahrlässig eskalierter Missbrauchsserien beigetragen haben, zudem die Erschütterung über das Ausmaß solcher Skandale in Irland. Wiederholt drängte Rom deutlich massiver als zu Beginn des Jahrzehnts auf umfassende Aufarbeitung.

Zuletzt äußerte sich Benedikt XVI. im Dezember 2009 zu dem Thema. Zuvor hatte er mit mehreren Kurienchefs und irischen Bischöfen über den offiziellen Murphy-Bericht beraten, der jahrzehntelange systematische Vertuschung des sexuellen Missbrauch durch Geistliche aufdeckte. Empörung, Verrat, Scham - solche Worte kamen im Anschluss vom Papst.

Nun Null-Toleranz-Politik
Und der Vatikan verschärfte vor sechs Wochen erneut seine Linie. Seit 2002 galt in den USA eine - vom Vatikan genehmigte - Null-Toleranz-Politik für sexuell straffällige Kirchen-Mitarbeiter. Angesichts des Skandals in Irland entwickelte Benedikt XVI. einen von ihm zuvor mehrfach beworbenen Drei-Stufen-Plan weiter. Der sah bislang vor: Juristische Klärung - im Sinne der Null-Toleranz für Pädophile; pastorale Aufarbeitung, die sich um eine «Heilung» der Verletzungen der Opfer bemüht; wirksame Präventionsmechanismen - vor allem bei der Auswahl der Seminaristen.

In Irland will Benedikt XVI. offenbar noch einen Schritt weitergehen. Dort wird sich das Kirchenoberhaupt wohl mit einem Hirtenbrief an die Gläubigen des Landes wenden und das weitere Handeln erörtern. Zudem will Rom - auch das ist neu - Fragen der bischöflichen Amtsführung untersuchen, einschließlich der Letztverantwortung für die Kinderpastoral. Für Mitte Februar sind die irischen Bischöfe nach Rom einbestellt.

Kirchliche Rechtsexperten zweifeln übrigens, ob es kirchenrechtlich eine Verschärfung geben sollte. Schon heute sei ein Ausschluss der Täter vom Priesteramt möglich. Vielfach wird sich eher die Frage der strafrechtlichen Aufarbeitung stellen. Aber sowohl die staatliche als auch die kirchliche Verfolgung wird dadurch erschwert, dass die Verbrechen häufig verjährt sind, wenn sie ans Licht kommen. Seit 2001 liegt die Verjährungsfrist im kirchlichen Bereich bei zehn Jahren nach Erreichen der Volljährigkeit des Opfers, zuvor waren es fünf.