20 Jahre: Erich Honecker im Lobetaler Pfarrhaus aufgenommen

Kommunist im Kirchenasyl

Autor/in:
Yvonne Jennerjahn
 (DR)

Zuerst hat sich die evangelische Kirche gesträubt. Viermal sei die Bitte an ihn ergangen, den gestürzten DDR-Staats- und Parteichef Erich Honecker und seine Frau Margot in ein kirchliches Haus aufzunehmen, schreibt Bischof Gottfried Forck Anfang 1990 in einem Brief. Doch er lehnt ab: Honeckers Unterbringung sei Aufgabe des Staates. Nur wenn dies nicht geht, sei die Kirche bereit - und nur aus Barmherzigkeit.

Doch die staatlichen Bittsteller sind hartnäckig. Die Regierung habe sich um eine Wohnung für den 77-Jährigen bemüht, könne aber nirgends Schutz vor möglicher Lynchjustiz bieten, erklären sie. Am 30. Januar 1990 gibt die Kirche nach. Der krebskranke Honecker, der nach eintägiger Untersuchungshaft in Ost-Berlin als haftunfähig entlassen wird, kommt mit seiner Frau nach Lobetal bei Bernau. Unter dem Dach der Hoffnungstaler Anstalten findet das Ehepaar, das stets auf eine Gesellschaft ohne Kirche gesetzt hat, eine vorübergehende Bleibe.

«Er war schwach und krank», erinnert sich Pfarrer Uwe Holmer, der damalige Anstaltsleiter und CDU-Bürgermeister von Lobetal, an die Aufnahme der Honeckers vor 20 Jahren. «Sie haben sich bedankt.» Holmer kommt kein unfreundliches oder verbittertes Wort über die Lippen, obwohl seine Familie in der DDR eine ganze Reihe Schwierigkeiten hatte. Die Honeckers seien «wie ganz normale Gäste» gewesen.

Doch das haben nicht alle so empfunden. Er sei noch dabei gewesen, den Honeckers die Zimmer zu zeigen, als der erste empörte Anruf einging, erzählt Holmer. Ein Mitglied des Gemeindekirchenrates sei es gewesen. Er habe entgegnet: «Wir können nicht jeden Sonntag beten und vom Vergeben der Schuld reden und es dann nicht tun.»

Außerdem sei Lobetal 1905 als Kolonie für Obdachlose gegründet worden und auch Honecker sei nun obdachlos, erzählt der 80-Jährige, der heute in Mecklenburg lebt. Der Gemeindevertreter hat es akzeptiert. Proteste gab es dennoch, am Gartenzaun, im Ort, per Post, selbst Bombendrohungen.

«Herr Honecker befindet sich in Lobetal nicht in einem Asyl, das ihn der strafrechtlichen Verfolgung entzieht», hatte Bischof Forck in seinem Schreiben vorsichtshalber klargestellt. Und das Ehepaar nehme auch niemandem einen Heimplatz weg: Denn die Holmers hatten für die Honeckers die beiden Kinderzimmer im Pfarrhaus freigeräumt. «Das Bad haben sie sich mit den Kindern geteilt», erzählt der Gastgeber.

In Erinnerung sind ihm auch die abendlichen Spaziergänge mit
Honecker: «Er war deutlich anderer Meinung in politischen Dingen.» Ein freundliches und menschliches Verhältnis sei trotzdem entstanden. Dass die SED-Genossen sich von ihm abwandten «und ihn im Regen stehen ließen», auch die Anklage wegen Hochverrats, haben ihn schwer getroffen, erinnert sich der Pfarrer.

Die ersten freien Wahlen in der DDR am 18. März 1990 hat Honecker unter dem Dach der Kirche erlebt. Dass die Niederlage für den DDR-Sozialismus dabei so klar ausfiel, habe ihn erschüttert. Dann hieß es plötzlich, es gebe eine geeignetere Unterkunft. Nach Lindow bei Rheinsberg sollte es gehen. Doch schon am nächsten Tag kam die eilige Bitte um erneute Aufnahme in Lobetal. Denn am neuen Wohnort hatten aufgebrachte Anwohner gedroht, das Haus zu stürmen.

Bis 3. April kommen die Honeckers noch einmal im Pfarrhaus unter, danach bei der Sowjetarmee in Beelitz. Im Winter 1990, die DDR gibt es nicht mehr, ergeht Haftbefehl gegen Honecker. Das Ehepaar fliegt nach Moskau. 1992, auch die Sowjetunion hat abgedankt, werden sie nach Deutschland ausgeliefert. Honecker wird wegen des Schießbefehls angeklagt und kommt in Berlin erneut in U-Haft. Anfang 1993 wird das Verfahren aus gesundheitlichen Gründen eingestellt, das Ehepaar geht nach Chile. Dort stirbt Honecker 1994 mit 81 Jahren an Krebs.

Im Alltag von Lobetal spielt das spektakuläre Kirchenasyl vor 20 Jahren heute keine große Rolle mehr. «Man denkt nicht
pausenlos darüber nach», sagt Johannes Feldmann, der heutige Leiter. Mit rund 3.000 Plätzen für Behinderte, Senioren, Suchtkranke, Jugendliche und Kinder zählt die Einrichtung der Diakonie mittlerweile zu den größten Sozialeinrichtungen in Brandenburg.

Die Aufnahme Honeckers im Pfarrhaus ist nach Feldmanns Ansicht nur einer von vielen Mosaiksteinen in der Geschichte der Anstalt. Und sie ist ganz im Sinn des Gründers: «Dass ihr mir niemanden abweist», war das Motto Friedrich von Bodelschwinghs. «Wer Hilfe braucht, für den müssen wir da sein», sagt auch sein Nachfolger. Und was wurde aus den beiden Honecker-Zimmern? «Die sind wieder normale Wohnräume.»