Im Grenzgebiet zwischen dem muslimischen Norden und dem christlichen Süden eskalieren Spannungen

Blutvergießen in Nigeria

Bei gewalttätigen Unruhen zwischen Christen und Muslimen in der nigerianischen Stadt Jos ist die Zahl der Toten nach Angaben der Organisation Human Rights Watch auf 200 gestiegen. Nigerias Regierung entsandte die Armee in die Stadt, um die Ausschreitungen zu beenden. Im Zentrum von Jos waren seit Sonntag Moscheen, Kirchen und Häuser angezündet worden. Über die Ursachen der Unruhen sind sich die Experten uneins.

Autor/in:
Marc Engelhardt
 (DR)

Als am Donnerstag die Ausgangssperre zum ersten Mal seit Tagen aufgehoben wurde, blieben die Straßen in Jos in Zentralnigeria dennoch leer. «Wir haben nichts mehr zu essen im Haus, irgendwann müssen wir rausgehen», sagt ein Bewohner der Stadt, die seit Sonntag von Unruhen erschüttert wurde. Mehr als 200 Menschen starben. «Aber ich habe Angst, dass wieder geschossen wird.» Seinen Namen will der Christ lieber nicht genannt wissen.

Wer sich aus dem Haus traut, berichtet von Straßensperren des Militärs an jeder Kreuzung. Auch nach dem Ende der Gefechte zwischen christlichen und muslimischen Jugendmilizen ist Jos eine Stadt im Ausnahmezustand.

Kreuzzughaft anmutende Missionsbewegungen
Dabei hat die Stadt im «Middle Belt», wie der Gürtel zwischen dem muslimischen Norden und dem christlichen Süden genannt wird, einen friedlichen Ursprung. Die Briten schickten ihre Kolonialbeamten aus dem stickigen Lagos auf das grüne Hochplateau, nach dem der Bundesstaat Plateau benannt ist.

Doch spätestens seit 2001, als bei Unruhen zwischen Christen und Muslimen mehr als 1.000 Menschen starben, ist Jos für Konflikte zwischen Religionsgemeinschaften berüchtigt. Kreuzzughaft anmutende Missionsbewegungen sind in Jos ebenso zu Hause wie islamistische Kampfgruppen. Ihre Zielgruppen sind die Masse an Jugendlichen aus armen Familien, denen der Staat keine Perspektive bietet.
Wer hat angefangen?
Was genau die Unruhen am vergangenen Sonntag ausgelöst hat, ist ungewiss. Womöglich stimmt die Geschichte, die Alhadschi Kabir Mohammed, ein muslimischer Bewohner von Jos, in der Presse erzählt. «Ich habe mein Haus wiederaufgebaut, das in den letzten Unruhen vor gut einem Jahr zerstört wurde», so Mohammed. «Auf einmal kamen christliche Jugendliche auf Motorrädern und befahlen mir, zu verschwinden.» Von da an, sagte Mohammed, habe die Lage sich hochgeschaukelt. Irgendwann brannten Kirchen, Moscheen und Häuser, und Tote lagen auf den Straßen.

Andere sprechen von vorbereiteten Angriffen auf Christen nach der Sonntagsmesse. «Das war geplant, unsere Jugendlichen haben sich nur verteidigt», erklärt Pfarrer Pandang Yamsat, der der «Kirche Christi» vorsteht, mit drei Millionen Mitgliedern eine der größten Glaubensgemeinschaften in der Region. Er sieht in den neuerlichen Unruhen eine Taktik, mit der Muslime Christen aus Jos vertreiben wollten. «Die Muslime wollen das Land alleine regieren, aber das geht nicht, es gehört Christen und Muslimen gleichermaßen.»
"Wenig mit Religion zu tun"
Nicht alle Christen teilen die Einschätzung von wütenden Kirchenführern wie Yamsat. «Die Auseinandersetzungen haben sehr wenig mit Religion zu tun», sagt etwa Ignatius Kaigama, der katholische Erzbischof von Jos. Er setzt sich seit langem für den Dialog zwischen Christen und Muslimen ein. «Religion wird instrumentalisiert, um ethnische und politische Interessen leichter durchzusetzen.» Kaigama warnt zudem vor der Macht von Gerüchten. Denen zufolge soll seine Gemeinde nach der Messe am Sonntag angegriffen worden sein, die Kathedrale sei angezündet worden: «Das stimmt alles nicht, wer so etwas verbreitet, der lügt.»

Die wirklichen Ursachen des Konflikts sind sozialer Natur, meint auch der Muslim Shamaki Grad von der Menschenrechtsliga in Jos: «Nach den letzten Unruhen Ende 2008 sind die versprochenen Entschädigungszahlungen vom Staat nie geflossen. Die Leute sind arm und hoffnungslos, sie gehen aus Frust erneut auf die Straße.» Mehr als 200 Menschen starben Ende 2008. Drei Untersuchungskommissionen wurden mit der Aufklärung betraut, ihre Berichte wurden nie veröffentlicht. «Frühere Ausschreitungen sind nie aufgeklärt worden, niemand wurde verhaftet», sagt Grad. «Deshalb gibt es hier ein Gefühl der Straflosigkeit.»

Nigerias Vizepräsident Goodluck Jonathan hat außer dem Militär auch den Chef des Geheimdiensts nach Jos entsandt. Er will präzise Informationen. Die Angst ist groß, dass sich die Gewalt wie ein Flächenbrand ausbreitet. In den umliegenden Bundesstaaten haben die Behörden die Polizei in höchste Alarmbereitschaft versetzt. Offenbar zurecht: Nur wenige Stunden, nach denen im Zentrum von Jos Ruhe eingekehrt war, meldeten Bewohner am Mittwoch neue Ausschreitungen in den Außenbezirken. In Pankshin, einer gut 100 Kilometer entfernten Stadt, wurde von brennenden Regierungsgebäuden berichtet.