Kardinal Sterzinsky für stärkere Förderung armer Familien

"Längst überfällig"

Der Berliner Kardinal Georg Sterzinsky hat mehr finanzielle Hilfen für arme Familien gefordert. Die Erhöhung des Kindergeldes um 20 Euro komme gerade den Ärmsten nicht zugute, weil sie mit dem Hartz-IV-Satz verrechnet werde, kritisierte Sterzinsky am Donnerstag im Interview. Sterzinsky leitet die Kommission für Ehe und Familie der Deutschen Bischofskonferenz. Er äußerte sich anlässlich des katholischen Familiensonntags am 17. Januar.

 (DR)

KNA: Herr Kardinal, warum begeht die katholische Kirche bundesweit nun schon zum 35. Mal einen Familiensonntag?

Sterzinsky: Wir wollen aufmerksam machen, dass Menschen, die in Ehen und Familien zusammen leben, pfleglich miteinander umgehen müssen, wenn sie in Freude und Glück zusammenleben wollen. Unter dem Motto «Beieinander bleiben» nimmt der kommende Familiensonntag besonders die Ehepaare in den Blick, deren Kinder schon aus dem Haus sind.

KNA: Wo liegen die besonderen Herausforderungen gerade für die Ehepaare im mittleren Alter?
Sterzinsky: Wenn die Kinder flügge geworden sind, entsteht tatsächlich oft eine Krise. Dann fällt die Aufgabe der Erziehung weg, die manche Ehe vielleicht bis dahin zusammengehalten hat. Wir wollen auch solche Ehepaare ermutigen, beieinander zu bleiben und gar nicht erst in eine Situation zu geraten, in der sie dann keine andere Lösung mehr wissen als auseinanderzugehen. Dieses Thema soll die Familienseelsorge in den Gemeinden und Verbänden auch das ganze Jahr wie ein roter Faden durchziehen.

KNA: Welche Angebote macht die Kirche Ehepaaren in dieser Altersphase?
Sterzinsky: Wir bieten speziell für sie Besinnungstage an. Es kommen zwar nicht sehr viele, aber die teilgenommen haben, sagen anschließend oft, dass diese Tage von tiefer und nachhaltiger Bedeutung für sie waren. Größeren Zulauf haben besondere Gottesdienste für Ehejubilare, bei denen sich die Paare einzeln segnen lassen können. Das zieht an. Da kommen auch Paare, die gar kein rundes Jubiläum haben, um sich von einem Priester die Hand auflegen zu lassen.

KNA: Welche Rolle spielt die kirchliche Ehe- und Familienberatung?
Sterzinsky: Sie müsste dringend weiter ausgebaut werden. Doch die kirchlichen Eigenmittel sind knapp, und mehr staatliche Förderung gibt es nicht. Die Kosten einer professionellen Beratung sind aber sicher geringer als die sozialen und damit auch finanziellen Folgen, wenn eine Ehe auseinander bricht.

KNA: Nun versucht der Staat ja durchaus, Ehe und vor allem Familie verstärkt zu fördern. Jetzt wurde das Kindergeld um 20 Euro erhöht. Wie bewerten Sie diesen Schritt?
Sterzinsky: Er war längst überfällig und ist eigentlich das Minimum, das man erwarten musste. Vor allem in kinderreichen Familien deckt es den bestehenden Bedarf nicht. Aber angesichts der gegenwärtigen Wirtschaftslage sollte man doch dankbar sein, dass die Erhöhung nun stattfindet. Zu kritisieren ist allerdings, dass sie gerade den Ärmsten nicht zugutekommt, weil sie mit dem Hartz-IV-Satz verrechnet wird. Das muss die Politik noch ausgleichen.

KNA: Ab 2013 plant die schwarz-gelbe Koalition ein zusätzliches Betreuungsgeld von 150 Euro für Familien, die Kinder im Alter bis zu drei Jahren zu Hause betreuen statt sie in eine öffentliche Einrichtung zu geben. Wie stehen Sie dazu?
Sterzinsky: Ich bin für das Betreuungsgeld und trete damit für die Wahlfreiheit der Eltern ein. Dass dieses Geld in bestimmten Milieus falsch verwendet werden könnte, ist kein Grund, alle Eltern unter Generalverdacht zu stellen. Vielleicht gibt es noch eine Lösung, dass unter bestimmten Voraussetzungen nicht der Barbetrag ausgezahlt, sondern Gutscheine für bestimmte Dienstleistungen ausgegeben werden. Das Beste wäre natürlich eine kostenfreie Betreuung in Kindertagesstätten und ein Betreuungsgeld für alle Eltern.

Das Interview führte Gregor Krumpholz.