Jahresrückblick des Bischofskonferenzvorsitzenden Robert Zollitsch

"Nicht tatenlos zusehen"

Ökumenestreit, Piusbrüder und steigende Austrittszahlen - die katholische Kirche hat bewegte Monate hinter sich. Zum Jahresende beschreibt der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, Erzbischof Robert Zollitsch, wichtige Ereignisse des vergangenen Jahres. Und er schaut voraus, wie die Kirche im kommenden Jahr Kirchenaustritte verhindern will.

Autor/in:
Volker Hasenauer
Ein Blick zurück: Erzbischof Robert Zollitsch (KNA)
Ein Blick zurück: Erzbischof Robert Zollitsch / ( KNA )

KNA: Herr Erzbischof, im vergangenen Jahr traten rund 120.000 Katholiken aus ihrer Kirche aus. Spielen Glaube und Kirche im Alltag vieler Deutsche keine Rolle mehr?
Zollitsch: Die hohe Zahl der Austritte ist sehr schmerzlich. Wir sehen hier auch eine Konsequenz der pluralen Gesellschaft, in der viele Menschen sich nicht mehr binden wollen, sei es in Parteien, Gewerkschaften, Verbänden oder eben auch in den Kirchen.

KNA: Wie wollen die deutschen Bischöfe dieser Entwicklung 2010 begegnen?
Zollitsch: Die Bischofskonferenz wird versuchen, mehr über die Beweggründe von Kirchenaustritten zu erfahren. Wir wollen auf die Menschen zugehen, die austreten. Auf dieser Basis wollen wir neue Strategien entwickeln. Ein weiterer Punkt ist, dass wir verstärkt nicht getaufte Menschen ansprechen und zum christlichen Glauben einladen wollen. Es kann sein, dass unsere Kirche kleiner werden wird. Aber es wäre schlimm, das hinzunehmen und dem tatenlos zuzusehen.

KNA: Neben den Austritten sorgt vor allem die Wirtschaftskrise für sinkende Kirchensteuereinnahmen. Werden die Bistümer mit Einsparungen reagieren?
Zollitsch: Wir haben die Wirtschaftskrise sehr stark zu spüren bekommen. In einigen Bistümern sanken die Einnahmen um zehn Prozent.
Mittelfristig rechnen wir mit einem weiteren Rückgang, auch aufgrund der demografischen Entwicklung. Die Zahl der potenziellen Steuerzahler wird weiter sinken. Der Rückgang der Kirchensteuer von
2008 auf 2009 lag bundesweit bei 2,4 Prozent.

KNA: Was also tun?
Zollitsch: Wir werden Schwerpunkte bei unseren Ausgaben setzen: Wir wollen nicht an Personal in der Seelsorge und möglichst auch nicht bei karitativen Diensten sparen. Soziales ist Ausdruck des kirchlichen Auftrags. Dagegen prüfen wir, uns von nicht mehr unbedingt notwendigen Immobilien oder Institutionen, die zu groß geworden sind, zu trennen. Und wir wollen neue Finanzquellen erschließen, etwa im Bereich von Stiftungen oder durch Fundraising.

KNA: Vor einigen Wochen kam es zwischen Katholiken und Protestanten zu erheblichen Misstönen. Ein internes EKD-Papier verglich die katholische Kirche mit einem "angeschlagenen Boxer". Wie geht es weiter mit der Ökumene?
Zollitsch: Ich bin froh, dass wir uns ausgesprochen und die Irritationen beigelegt haben. Es geht nun darum, gemeinsam nach vorne zu schauen. Wichtig wird im nächsten Mai der Zweite Ökumenische Kirchentag in München sein. Hier wollen wir gemeinsam Flagge zeigen und eine Debatte anstoßen, um die christlichen Werte wie Solidarität, Gerechtigkeit, Nächstenliebe, auf denen unsere Gesellschaft entscheidend gründet, lebendig zu halten.

KNA: Erstmals steht eine Frau an der Spitze der evangelischen Kirche in Deutschland. Wie verstehen Sie sich mit der neu gewählten Ratsvorsitzenden, Bischöfin Margot Käßmann?
Zollitsch: Ich sehe sehr zuversichtlich der Zusammenarbeit entgegen.
Erst vor wenigen Tagen hatten wir unser erstes offizielles Arbeitsgespräch und das hat mir gezeigt, wie offen und unkompliziert wir miteinander reden können.

KNA: Bei welchen Themen ist ein gemeinsames Auftreten von katholischer und evangelischer Kirche zentral?
Zollitsch: Wir müssen uns als Kirchen mit einer Stimme in die politische Debatte einbringen. Etwa bei Fragen des Lebensschutzes in allen Lebensphasen oder des Umgangs mit alten Menschen - Stichwort Patientenverfügung oder Sterbebegleitung. Unsere älter werdende Gesellschaft bringt in den nächsten Jahren große Herausforderungen in medizinethischen Feldern mit sich. Wie wollen wir mit immer mehr Demenzkranken umgehen? Wie kann menschenwürdige Pflege gelingen? Für mich ist es ein Schreckenszenario, wenn aufgrund des Alters zum Beispiel bestimmte Therapien nicht mehr angewandt würden.

KNA: Sehr viele kirchliche Schlagzeilen des Jahres gingen auf die Annäherung der katholischen Kirche mit der ultrakonservativen Piusbruderschaft zurück. Wie bewerten Sie die Gespräche zwischen Piusbruderschaft und Vatikan? Was sind die nächsten Schritte?  
Zollitsch: Es gab eine erste Gesprächsrunde im Vatikan. Allerdings ist es noch zu früh, um Prognosen über den Ausgang zu wagen. Das braucht Zeit.

KNA: Hat die Debatte - und auch die Holocaustleugnung des Traditionalistenbischofs Williamson - der Kirche in Deutschland geschadet?
Zollitsch: Die Debatte hat sicherlich Unruhe in die Kirche gebracht, weil es schwer war, das eigentliche Anliegen des Papstes zu vermitteln. Aber gerade mein Gespräch mit dem Zentralrat der Juden vor einigen Wochen war ein wichtiger Schritt, im Verhältnis zu unseren jüdischen Mitbürgern wieder Normalität einkehren zu lassen..

KNA: Warum zeigt sich der Papst gegenüber den Piusbrüdern entgegenkommend, während er bei wiederverheirateten Geschiedenen, die von Sakramenten ausgeschlossen bleiben, oder beim Zölibat wenig Bewegung erkennen lässt?
Zollitsch: Das sind völlig verschiedene Ebenen von Sachfragen, die man nicht vermengen sollte. Die Frage der wiederverheirateten Geschiedenen beschäftigt uns und ich habe auch mit Papst Benedikt XVI. darüber gesprochen. Die Frage des Zölibats wird in Deutschland immer wieder diskutiert. Weltweit steht er nicht zur Disposition - wir sollten hier mehr über den deutschen und europäischen Tellerrand hinwegblicken.

KNA: Also gibt es bei Reformthemen keine Bewegung, während Rom gegenüber traditionellen und sehr konservativen Gruppierungen Zugeständnisse macht?
Zollitsch: Wir setzen den Weg, den das Zweite Vatikanische Konzil eingeschlagen hat, kontinuierlich fort. Ich kann nicht feststellen, dass wir uns da auf einem Rückwärtstrend bewegen.