Welthungerhilfe kritisiert Schönreden der Politik nach Gipfel-Scheitern

"Wir ärgern uns ins Bodenlose"

Die Bundesregierung will ihre Klimaschutzziele weiter vorantreiben, Angela Merkel setzt auf eine Klimawende 2010. Nach dem Scheitern des Weltklimagipfels von Kopenhagen beginnt das Schönreden. "Politische Ernsthaftigkeit" ist das, was Wolfgang Jamann in der aktuellen Klimadebatte vermisst. Der Geschäftsführer der Deutschen Welthungerhilfe wirft den politisch Handelnden im domradio-Interview Verantwortungslosigkeit vor.

 (DR)

domradio: Wie berwerten Sie den Klimagipfel von Kopenhagen?
Jamann: Es hatte sich ja schon abgezeichnet, dass die über 130 Staatschefs offensichtlich nicht in der Lage sind, eine der größten Fragen der Menschheit in irgendeiner Frage anzugehen. Das ist im Prinzip eine Blamage, dass man sich nicht nach zwei Jahren Verhandlungen seit der Klimakonferenz von Bali auf irgendeine Art von verbindlichem Dokument verständigen konnte.

domradio: Letztlich waren es kleinere Staaten, wie die Südseeinsel Tuvalu, der Sudan oder Venezuela, die gesagt haben: Nein, das unterschreiben wir nicht. Wie bewerten sie das, dass jetzt wegen denen noch nicht mal ein Minimalkonsens erreicht wurde?
Jamann: Es waren nicht nur die kleinen Staaten. Einige afrikanische Staaten haben sich zu Wort gemeldet, auch der Sudan, einer der flächengrößten Staaten Afrikas. Und mit gutem Recht und Grund. Die 25 Staatschefs, die versucht haben noch kurz vor knapp so etwas wie ein Gesicht wahrendes Dokument zustande zu bringen, haben im Prinzip die Interessen der Entwicklungsländer außen vor gelassen. Es ist so, dass der Klimawandel schon jetzt spürbar ist, insbesondere in Afrika. Und wir müssen damit rechnen, dass bis 2050 wahrscheinlich nur noch die Hälfte erbracht werden kann. Und da ist es das gute Recht der Entwicklungsländer zu sagen 'Das reicht uns nicht'.

domradio: Wäre es nicht vielleicht besser gewesen, wenigstens den Minimalkonsens abzunicken?
Jamann: Selbst der Minimalkonsens war in keiner Weise verbindlich. Man ist ja noch nicht mal in der Lage zu sagen 'Wir wollen im nächsten Jahr in Mexiko ein verbindliches Abschlussdokument erstellen', d.h. die politische Ernsthaftigkeit wird komplett vermisst bei den handelnden Akteuren.

domradio: Sind die Politiker nur gekommen, um ihr Gesicht zu zeigen?
Jamann: Es gibt ja großen öffentlichen Druck, das ist  offensichtlich gerade das Einzige, das in irgendeiner Art und Weise noch funktioniert. Das, was die Wissenschaftler schon seit Jahren sagen, ist ja nicht so kompliziert. Wenn die handelnden politisch Verantwortlichen nicht in der Lage sind zu sagen 'Wir nehmen diese zwei Gradgrenze zur Kenntnis', kann ich nur sagen: Da fehlt politische Verantwortung und Ernsthaftigkeit.

domradio: Bundeskanzlerin Merkel war auch nicht zufrieden, aber sie hat gesagt: Man habe Scheitern der Verhandlungen verhindert. Immerhin sei es gelungen, das Ziel festzuschreiben, den Anstieg der Erderwärmung auf zwei Grad gegenüber der vorindustriellen Zeit, man erkennt die Ergebnisse von Kopenhagen an - Macht sie das sauer, wenn sie so etwas hören?
Jamann: Sehr viel wird schöngeredet und schöngerechnet. Wir fordern ja nicht nur eine Anerkennung des Reduktionsziels, sondern auch die Bereitstellung von adäquaten Finanzmitteln, um das Schlimmste zu verhindern. Auch da wird im Bundeshaushalt nicht genug getan. Man rechnet jetzt Mittel der Armutsbekämpfung gegen Mittel für die Bekämpfung des Klimawandels auf, das ist politisch nicht seriös. Tatsächlich: Wir ärgern uns ins Bodenlose.

Das Gespräch führte Ina Rottscheidt. Hören Sie es hier in voller Länge.