Der Klimaexperte der Evangelischen Kirche erwartet zum Abschluss der Klimakonferenz eine Einigung - und dass viele Probleme bleiben

"Die wollen am Ende irgendwas unterschreiben"

Nach zweiwöchigen Verhandlungen soll bis zum Abend der Klimagipfel von Kopenhagen zu Ende gehen. Zum Abschluss werden mehr als 120 Staats- und Regierungschefs erwartet. "Die wollen nicht mit leeren Händen nach Hause gehen", sagt Thomas Hirsch. Der Klimaexperte des evangelischen Hilfswerks Brot für die Welt erwartet er zwar einen Abschluss. Gleichzeitig rechnet er im domradio-Interview aber auch mit "Schlupflöchern".

 (DR)

domradio: Sind sie heute wieder Delegierter der Fidschi-Inseln?
Hirsch: In der Tat: Ich werde in die Konferenz laufen als Delegierter der Fidschi-Inseln. Eine etwas bizarre Situation, aber immerhin eine Möglichkeit an den Verhandlungen teilzunehmen.  

domradio: Warum muss man sich so in die Verhandlungen schleichen?
Hirsch: Die Verhandlungsleitung, die UNO und vielleicht auch die dänische Präsidentschaft hat beschlossen, dass man Nicht-Regierungsorganisationen und andere Beobachter aussperrt, d.h. seit gestern sind neue Regeln in Kraft getreten, die die Anzahl der Beobachter reduziert haben auf gerade mal noch 1,2 Prozent der Beobachter, die zu Beginn noch zugelassen waren.

domradio: Sie konnten weiterhin beobachten. Ist von dem Sondertreffen heute Nacht schon etwas durchgesickert?
Hirsch: Die Gerüchteküche kocht, aber man muss ehrlich zugeben: Niemand, außer denjenigen, die direkt mitverhandeln, kann zum gegenwärtigen Zeitpunkt sagen, was heute Morgen rauskommt. Wir wissen, dass die Verhandlungen die ganze Nacht über fortgesetzt wurden. Wir wissen, dass es in einigen Bereichen Fortschritte gab. Wir wissen aber auch, dass es in vielen Bereichen nach wie vor keinen Konsens gibt. Und es bleibt abzuwarten, inwieweit das Paket, was dann geschnürt sein wird nach dem Frühstück, taugt, damit Regierungschefs darüber überhaupt sinnvoll verhandeln können. Sie müssen sich vorstellen: Die Materie ist ja ungeheuer komplex. Und ein Regierungschef hat in der Regel nicht sehr viele Kenntnisse über die Materie und kann deshalb nur sehr begrenzt entscheiden. So laufen wir im Augenblick in das Risiko, dass dort verhandelt wird von Leuten, die zwar vielleicht den Willen mitbringen, es zu einem guten Ende zu führen, die aber die Details nicht kennen. Und im schlimmsten Fall haben wir dann am Ende die berühmte Katze im Sack, das heißt es gibt ein Abkommen, aber noch niemand kann wirklich beurteilen, ob es ein gutes ist, weil das Kleingedruckte noch nicht ausbuchstabiert wurde.

domradio: Angela Merkel ist auch schon in Kopenhagen. Welcher Einfluss wird ihr zugetraut?
Hirsch: Merkel wird hier schon von Vielen als eine der entscheidenden Personen betrachtet. Sie hat Gewicht, sie hat immer noch weltweit einen guten Ruf als Klimakanzlerin, sie kann Dinge bewegen, sie kann Dinge aber nicht alleine bewegen. Und wir müssen natürlich auch sagen: Man kann Dinge nur bewegen, wenn man konkrete Angebote machen kann. Was wir gestern gehört haben in der Rede von Angela Merkel waren gute Worte, aber waren noch keine zusätzlichen Angebote oder Fakten. Und insofern bleibt abzuwarten, ob nun den Worten auch Taten folgen.

domradio: Viele Hoffnungen werden in Barack Obama gesetzt - sind sie berechtigt?
Hirsch: Die USA sind hier ohne Zweifel einer der entscheidenden Akteure. An ihnen wird es maßgeblich liegen, ob wir hier einen guten Abschluss sehen. Denn die Amerikaner sind als nahezu die Einzigen kein Mitglied des Kyoto-Protokolls, was für die anderen Industriestaaten ihre Treibhausgasreduktionspflichten definiert. Und bislang haben es die Amerikaner strikt abgelehnt, sich einem internationalen Abkommen zu unterwerfen. Wir werden heute sehen, ob in diesem Punkt die Amerikaner ein entscheidendes Zugeständnis machen. Wenn wir das sehen, davon gehe ich aus, können wir darauf hoffen, dass am Ende ein Abkommen steht. Selbst in diesem Fall, nach Stand der Verhandlungen, kann man wohl nicht mehr damit rechnen, dass wir das Abkommen, das sich alle wünschen. Nämlich ein Abkommen, das mit hoher Wahrscheinlichkeit garantiert, dass die globale Erwärmung auf 2 Grad Celsius limitiert wird. Wir können aber im besten Falle vielleicht 80 Prozent davon erreichen.

domradio: Ein kleiner Hoffnungsschimmer auf ein gutes Ende besteht also noch?
Hirsch: Am Donnerstag waren die Verhandlungen eigentlich in einer nahezu ausweglosen Situation. Auch die Delegierten waren ratlos. Doch dann ist ein Krimi neu gesponnen worden und auf einmal haben alle begonnen, miteinander zu reden und zu verhandeln. Dinge, die man eigentlich vor zwei Jahren - zu Beginn des Prozesses - schon ernsthaft miteinander besprechen müssen, die gingen gestern los. Aber stellen sie sich vor, sie haben dann noch 24 Stunden Zeit, einen Sack voll mit ungelösten Problemen in irgendeiner Weise zu ordnen. Man hat das gemacht, das ist ein gutes Zeichen. Man hat jetzt 120 Regierungschefs hier, die wollen nicht mit leeren Händen nach Hause gehen, die wollen am Ende irgendwas unterschreiben, auch das gibt Hoffnung, dass wir ein Abkommen sehen werden. Aber weil eben die große Last des Unbewältigten, des noch nicht Geklärten so groß ist, haben wir am Ende wahrscheinlich ein Abkommen, was noch Vieles offen lässt. Und das wird es dann im Übrigen auch sehr schwierig machen, das Abkommen zu bewerten. Nur ein Beispiel: Wir werden dann Emissionsminderungspflichten sehen. Sagen wir 25 Prozent für Industrieländer. Wir werden wahrscheinlich noch nicht wissen, welche Schlupflöcher es gibt. Und je nach dem, wie diese Schlupflöcher geschaffen sind, könnte  es dann sein, dass von diesen 25 Prozent auf dem Papier nur 5 Prozent in der Realität übrig bleiben. Das wäre dann ein sehr schlechtes Ergebnis, aber wir wissen es noch nicht.

Das gespräch führte Heike Sicconi.