Bei den Wahlen in Chile fordert ein junger Sozialist die etablierte Politik heraus

Alt gegen neu

Die Chilenen wählen am Sonntag ein neues Staatsoberhaupt. Sicher ist dabei nur, dass es ein Mann sein wird. Denn Präsidentin Michelle Bachelet darf laut Verfassung trotz traumhafter Sympathiewerte von 80 Prozent kein zweites Mal antreten. Könnte sie, käme sie direkt auf eine absolute Mehrheit - für die Bevölkerung steht die Sozialistin Bachelet über den Parteien.

 (DR)

Doch der Frust über das regierende Bündnis aus Christdemokraten, Sozialisten und Sozialdemokraten sitzt tief. Es herrscht das Gefühl, das Bündnis habe es in 20 Jahren lediglich geschafft, Chile gut zu verwalten, aber nicht grundlegend zu verändern. Noch immer ist das Land an die Verfassung aus der Diktatur von Augusto Pinochet
(1973-1990) gefesselt. Jegliche Änderung bedarf einer breiten Zustimmung im Kongress. Grabenkämpfe zwischen rechts und links haben tiefgreifende Korrekturen blockiert.

Nach Angaben der chilenischen Regierung ist die Armut in den vergangenen zehn Jahren erheblich zurückgegangen. Doch die Schere zwischen Arm und Reich hat sich weiter geöffnet, die Grenze nur nach unten durchlässig. Chile liegt hinter Brasilien an zweiter Stelle bei der Ungleichverteilung des Einkommens in Südamerika.

Der Kandidat des Regierungsbündnisses verkörpert denn auch keinen Neuanfang: Der 67-jährige Christdemokrat Eduardo Frei war bereits 1994 bis 2000 Präsident. «Frei hatte seine Chance, und er hat nichts gemacht,» sagt die 31-jährige Mirtha und spricht damit die Meinung vieler Chilenen aus. Dem Bündnis wird zudem Vetternwirtschaft und Korruption nachgesagt.

Einen Hoffnungsträger scheinen vor allem junge Chilenen in Marco Enríquez-Ominami ausgemacht zu haben. Marco, wie ihn seine Anhänger nennen, hat Schwung in den müden Wahlkampf gebracht. Nachdem ihn das Regierungsbündnis nicht nominierte, trat der 36-jährige Polityoungster im Juni aus der Sozialistischen Partei aus und brachte es als unabhängiger Kandidat aus dem Stand auf 13 Prozent. «Mir gefallen seine Ideen, meine Stimme hat er sicher», zeigt sich Mirtha begeistert, während sie auf seinen Wahlkampfauftritt wartet.

Enríquez-Ominamis Doppelname hat in Chile einen besonderen Klang. Vater Miguel Enríquez war Führer des marxistisch-leninistischen MIR und wurde 1974 vom Geheimdienst der Diktatur erschossen. Sein Adoptivvater, der Sozialist Carlos Ominami, war Staatsminister unter dem christdemokratischen Präsidenten Patricio Alywin.

Die Umfragen sehen jedoch seit Monaten den rechten Kandidaten Sebastián Piñera vorne. Der Multimillionär wird sicher in die Stichwahl am 17. Januar kommen, die Umfragen geben ihm jedoch nie mehr als 50 Prozent der Stimmen. Auch ärmere Menschen wollen ihn wählen, weil er so reich ist, dass er sich nichts mehr zusammengaunern muss, so die landläufige Vorstellung. Ex-Präsident Ricardo Lagos kritisierte jedoch, alle Menschen im Umfeld Piñeras seien Erben Pinochets.

Sollte sich Piñera in der Stichwahl durchsetzen, wäre es das erste Mal seit 1958, dass in Chile ein Kandidat der Rechten durch freie Wahlen ins Amt kommt. Anfang 2006 unterlag der 60-Jährige bei der Stichwahl Präsidentin Bachelet. Noch ist offen, gegen wen er diesmal antritt. Marco Enríquez-Ominami hat den Abstand zu Eduardo Frei Monat für Monat verringert. Lag die Differenz zwischen beiden im Juni noch bei 17 Prozent, so ist sie bis Anfang November auf knapp 7 Prozent geschrumpft.

Vor Marcos Auftritt heizen drei Rapper ordentlich die Stimmung an. Die meisten Anhänger des Sozialisten sind junge Städter. Auch Rapper Germán würde für Marco stimmen. «Mir gefällt seine frische und freche Art,» sagt der 19-Jährige. Seine Stimme kann er ihm dennoch nur auf der Bühne geben. Germán hat sich nicht ins Wahlregister eintragen lassen.

Wer in Chile volljährig ist, darf nicht automatisch wählen, sondern muss sich registrieren. Und wer das einmal getan hat, muss dann bis an sein Lebensende wählen gehen. Dies empfinden viele junge Erwachsene als Zwang. Nach inoffiziellen Schätzungen sind über 80 Prozent der unter 25-Jährigen nicht eingetragen und damit nicht stimmberechtigt. «Wäre das Wahlgesetz nicht so bescheuert, würde ich zumindest dieses Mal wählen gehen», sagt Rapper Germán.