Migranten können in Deutschland häufig nicht zurück in ihren Beruf

Die Abschlussfalle

In der alten Heimat Bulgarien Doktor der Chemie, in der neuen Deutschland Taxifahrer - kein Einzelfall. Im Ausland erworbene Abschlüsse werden häufig nicht anerkannt. Warum besonders Mittel- und Osteuropäer sind, erklärt Martin Brussig. An der Universität Duisburg-Essen hat er den Missstand erforscht. Im domradio-Interview fordert er Änderungen.

 (DR)

domradio: Viele haben einen Abschluss, der wird aber nicht anerkannt. Und gehören diese Personen also auch schnell den Hartz IV Empfängern an. Heißt das denn, dass diejenigen mehr Chancen auf einen Arbeitsplatz in Deutschland haben, wenn ihr ausländischer Berufsabschluss anerkannt worden ist?
Brussig: Das können wir eindeutig bejahen. Wir haben gesehen, dass die Migranten, die einen Ausbildungsabschluss, den sie im Ausland erworben haben und der in Deutschland anerkannt ist, genauso oft eine Stelle gefunden haben wie diejenigen, die ihren Ausbildungsabschluss in Deutschland gemacht haben. Da gibt es keinen Unterschied mehr. Und das Ganze gilt auch umgekehrt: Diejenigen, die einen Ausbildungsabschluss im Ausland erworben und in Deutschland nicht anerkennen konnten, finden genau so selten eine neue Beschäftigung wie diejenigen, die überhaupt keinen Abschluss haben.

domradio: Warum werden gerade Bildungsabschlüsse aus Osteuropa nicht anerkannt?
Brussig: Die haben das größte Risiko insofern, weil sie oft einen Bildungsabschluss mitbringen aus dem Ausland. Die Zuwanderer, die ja wirklich selber kommen, kommen in den letzten Jahren hauptsächlich aus Osteuropa - Aussiedler und andere Osteuropäer - und die haben in ihren Heimatländern, auch weil es dort Berufbildungssysteme gibt, einen Abschluss erworben. Insofern stehen sie erstmal vor dem Problem. Während Türken beispielsweise - eine andere große Zuwanderergruppe - ja oft schon in der zweiten Generation hier leben. Dass die Osteuropäer einen Ausbildungsabschluss mitbringen und demzufolge das Risiko haben, dass der nicht anerkannt wird, erklärt nur einen Teil der Geschichte. Der andere Teil ist, dass es gar nicht so leicht ist, eine Anerkennung des Abschlusses in Deutschland zu bekommen.

domradio: Wie lassen sich die Fragen nach Anerkennung klären? Können denn nicht die Arbeitsvermittler die Migranten unterstützen bei der Anerkennung der ausländischen Abschlüsse?
Brussig: Die Anerkennung der Abschlüsse ist in Deutschland ziemlich kompliziert und spielt auf unterschiedlichen Ebenen. In den Grundsicherungsstellen, also in den Jobcentern oder den Arbeitsagenturen, wissen die Arbeitsvermittler oft nicht, wer die zuständigen Ansprechpartner sind und wie die Prozesse da laufen. Dazu trägt auch bei, dass aus der Perspektive der Arbeitsvermittlung Personen, die einen Abschluss besitzen, der nicht anerkannt ist, einfach als unqualifiziert gelten und dort so registriert werden. Demzufolge nehmen die Arbeitsvermittler auch oft nicht wahr, dass die Zuwanderer ein Qualifikationspotential haben, weil es in ihren Akten nicht vermerkt ist.

domradio: Was muss passieren, dass Migranten ihren in Deutschland nicht anerkannten Berufsabschluss nachholen können? Also wer nimmt denn solche Anerkennungen vor?
Brussig: Es müsste auf unterschiedlichen Ebenen was passieren. Gesetzlich könnte man sich etwas vorstellen, auf der Ebene der Anerkennungsstellen selbst oder auch in den Arbeitsagenturen. Dort muss ein größeres Wissen vorhanden sein. Jetzt ist es so, dass es Anerkennungsstellen gibt, dafür sind die Länder zuständig. Und die sind eben auch nach Berufen und Herkunftsgruppen verstreut, so dass sehr oft in vielen Einzelfällen neu zu klären ist, wer zuständig ist. Das ist natürlich so unübersichtlich, dass da kaum jemand durchblickt.

domradio: Was fordern sie für die Migranten, die Arbeit in Deutschland suchen?
Brussig: Eine Forderung ist die nach einem generellen Rechtsanspruch auf Anerkennung zu schaffen - und zwar nicht nur darauf, dass man in ein Verfahren reinkommt, das die Anerkennung vornimmt, sondern auch einen Rechtsanspruch darauf, dass der im Ausland erworbene Abschluss bewertet wird. Zur Not mit einer Teilanerkennung. Das wäre gewissermaßen eine Forderung an den Gesetzgeber. Und wenn es diese Forderung gibt, wächst daraus auch ein Druck, die Anerkennungsverfahren selbst zu vereinfachen und bessere Informationsmöglichkeiten bereitzustellen. Das ist auch eine zentrale Forderung an die Grundsicherungsstellen und die Arbeitsagenturen, dass dort so etwas wie ein Anerkennungsmanagement eingerichtet wird, d.h. dass ein Ansprechpartner darauf spezialisiert ist und die Anerkennungsstellen in seiner Umgebung kennt, dass er die Informationen darüber gesammelt hat, dass er Beispielfälle kennt, dass er eben auch weiß, was für eine bestimmte Person für einen Migranten notwendig ist und wie man am besten vorgeht. Ob eine Zusatzqualifizierung notwendig.

Das Gespräch führte Monika Weiß.

Hintergrund:
Jeder vierte Zuwanderer, der Arbeitslosengeld II beziehe, habe in seiner Heimat einen Berufs- oder Hochschulabschluss erworben, der in Deutschland nicht anerkannt werde, erklärte das Institut Arbeit und Qualifikation (IAQ) der Universität Duisburg-Essen am Montag. Dagegen verdoppelten sich die Beschäftigungschancen, wenn der ausländische Berufsabschluss in Deutschland anerkannt werde.

Betroffen seien insbesondere Migranten aus mittel- und osteuropäischen Ländern sowie Aussiedler, heißt es in der Studie. Auf dem Arbeitsmarkt hätten die Migranten dann mangels gültiger Zeugnisse kaum Aussichten. In der Arbeitsvermittlung würden sie als "ungelernt" eingestuft und seien zum großen Teil auf Sozialleistungen angewiesen, beklagen die Arbeitsmarktforscher. Sie fordern die Prüfung von im Ausland erworbenen Qualifikationen in einem transparenten und einheitlichen Anerkennungsverfahren.