Der Regisseur Philip Gröning folgt der Einladung des Papstes

"Den Bruch heilen"

Papst Benedikt XVI. trifft an diesem Samstag im Vatikan mit rund 270 Künstlern aus aller Welt zusammen. Der deutsche Regisseur und Filmemacher Philip Gröning ist einer von ihnen. Der 50-Jährige über seine Erwartungen.

 (DR)

KNA: Herr Gröning, Sie sind am 21. November einer der deutschen Vertreter bei der Begegnung von Papst Benedikt XVI. mit Künstlern.
Was erwarten Sie von diesem Treffen?
Gröning: Ich bin gespannt darauf, den Papst zu treffen, zu erleben, welche menschliche Ausstrahlung er hat. Und bin gespannt darauf, was er uns sagen wird. Denn es wird ja gewiss eher ein Vortrag als eine Begegnung sein - bei immerhin 270 Leuten.

KNA: Ihr Werk "Die große Stille" 2005 lobten auch Bischöfe. Waren Sie damit auch offiziell im Vatikan?
Gröning: Nein. Die Sixtina kenne ich nur als einfacher Museumsbesucher. Eine Einladung in den Vatikan, das ist schon etwas sehr Besonderes.

KNA: Welche Rolle hat Religion für Ihr Schaffen?
Gröning: Religion ist immer eine radikal persönliche Sache. Für mich ist die Frage der Transzendenz, die Frage, was ist jenseits des Materiellen, des Sichtbaren, immer wieder ein ganz zentrales Thema. In der "großen Stille" ist das natürlich besonders ausgeprägt. Und auch jetzt arbeite ich an Filmen, in denen es einerseits um die Tugend der Liebe, andererseits um Zeit geht. Da taucht die spirituelle Dimension sofort auf. Kunst, die nicht in eine Dimension über die übliche Realität hinaus verweist, trägt vielleicht nicht so weit.

KNA: Gibt es nach so einem Erfolg wie "Die große Stille" eine Gefahr, mit solchen Arbeiten in eine Schublade zu kommen?
Gröning: Die Gefahr ist für mich persönlich nicht so groß. Natürlich kamen danach Fragen, ob ich über andere Klöster etwas ähnliches machen will. Oder auch eine Reihe von Filmen über Klöster. Aber man kann selbst entscheiden, ob man in eine Schublade will.

KNA: Kirche schaut auf Kunst häufig gerne mit einem besonderen Blick auf die Ästhetik, sieht sie als Ausdruck der Schöpfung. Aber die Kunst verweist in besonderer Weise auch auf die Gebrochenheit des Lebens, stellt Fragen, verkörpert Zweifel. Wie viel sollte Kirche dabei auch aushalten können?
Gröning: Viel mehr, als sie aushält. Die Kirche hält viel zu wenig an Gegenüber aus. 1984 wurde Jean-Luc Godards Film "Je vous salue, Marie" vom Vatikan heftig als blasphemisch kritisiert und geradezu mit einem Bann belegt - obwohl es eines der zutiefst religiösen Filmwerke unserer Zeit ist. Das zeigt, dass die Kirche tatsächlich schlecht in der Lage scheint, auszuhalten, was Künstler machen.

KNA: "Je vous salue, Marie" ist ein Vierteljahrhundert her. Sehen Sie Veränderungen? Wird das Gespräch von Kirche und Kultur lebendiger?
Gröning: Erzbischof Ravasi, der das Einladungsschreiben gesandt hat, spricht darin sehr offen von einem gewissen Bruch zwischen den Künstlern und der Kirche. Und er sieht, dass das Bedürfnis besteht, diesen Bruch zu heilen. Das kann man nicht hoch genug einschätzen. Ich weiß nicht genau, ob eine wirkliche Öffnung zu dem, was aktuelle Kunst bedeutet, für den Vatikan einfach sein wird.

KNA: Was heißt das konkret?
Gröning: Ich hätte mir zum Beispiel gewünscht, dass Christoph Schlingensief auch zum Papst eingeladen würde. Er beschäftigt sich auf eine sehr radikale Art mit existenziellen religiösen Fragen. Das ist doch Gegenwart! Die Kirche sollte einen solchen großen, durch und durch katholischen Künstler ernst nehmen und mit Offenheit das Gespräch suchen. Das ist noch ein Stück Weg, bis der Vatikan und die Künstler wieder gemeinsame Fragen oder Energien finden. Aber dieser Bischof Ravasi hat sicher einen Anstoß gegeben, er will diesen Dialog wieder in Gang bringen. Das ist erst mal wichtig.

KNA: War Kirche für Sie als Künstler stets ein ernstzunehmender Ansprechpartner? Wie wichtig ist es, dass sich ein Bischof oder auch ein Pfarrer einfach traut, sich Fragen stellen zu lassen?
Gröning: Sehr wichtig. Die Mönche der großen Kartause aus der "großen Stille" sind natürlich ein tolles Beispiel. Das waren klare Menschen, die sehr klare Entscheidungen für sich getroffen haben und die sehr großes Verständnis für das Werk eines Künstlers hatten.
Wenn das passiert, ist es mehr als schön. Wenn einem solche Menschen begegnen und man merkt: Da ist wirkliches Interesse, da ist wirkliches Entgegenkommen. So haben wir während der Dreharbeiten zueinander gefunden.

KNA: Sie haben damals im Kirchenraum selber gedreht. Hat der Gottesdienstraum für Künstler noch eine besondere ästhetische Dimension?
Gröning: Auf jeden Fall. Das ist eine ganz starke Macht. Der Kirchenraum, der sakramentale Raum, ist sowieso ein ganz großes Thema. Das sieht man ja vielfach, bei Joseph Beuys, bei Schlingensief, bei Bill Viola. Die Art, wie der Raum das Heilige zum Vorschein bringt, ist ein ungeheuer zentrales Thema.

KNA: Wie war das bei Ihrem Dreh im Kloster?
Gröning: Bei meinen Dreharbeiten gab es natürlich große Scheu. Der Gottesdienstraum ist ja jetzt nicht der Raum, wo man groß mit der Kamera rumfummeln sollte. Ich hatte einfach das Glück, als Zeuge sehr still dabei zu sein. In der Vorbereitung kam mal die Diskussion auf, ob man statt der wirklichen Offizien für mich solche Offizien einfach nachstellen sollte. Da habe ich sofort abgewunken. Das wäre nicht dasselbe. Und ich glaube, das sieht man. Es ist eben keine Inszenierung, was da geschieht.

KNA: Sprechen Künstler untereinander über diese Fragen der Transzendenz?
Gröning: Auf das Thema Transzendenz kommt man natürlich oft, auch auf die Frage der Religiosität. Das ist bei fast allen Künstlern, die ich kenne, ein Thema. Aber es gibt auch den Ärger über die verfasste Kirche, klar. Zum Beispiel beim Umgang mit Aids und dem Zugang zu Verhütungsmitteln in Afrika. Ich glaube, da stehen viele Künstler, ehrlich gesagt, fassungslos da.