Böll-Sohn kritisiert Stadt Köln nach Archiv-Einsturz

"Schildbürgerstreich erster Klasse"

Vor gut acht Monaten brach unter dem Historischen Archiv Köln der Boden weg. Durch den Einsturz kamen nicht nur zwei Menschen ums Leben. Auch unzählige Dokumente wurden zerstört. Heute klagten drei Nachlass-Leihgeber vor dem Landgericht. Ihr Vorwurf: Der Stadt war schon länger die Gefahrenlage bekannt. Der Künstler Rene Böll ist Sohn von Schriftsteller Heinrich Böll, dessen Nachlass auch in dem Archiv verwahrt war. Im domradio klagt auch er an.

 (DR)

domradio: Können sie die drei Leihgeber und ihre Klage gegen die Stadt verstehen?
Rene Böll: Absolut! Nach meinen Erkenntnissen, was in den letzten Monaten nach und nach rausgekommen ist und was immer versteckt werden sollte, war ja immer bekannt, dass das Archiv ja zumindest gefährdet ist. Deswegen bin ich schon der Meinung, dass eine Klage gegen die Stadt zumindest vertretbar ist.

domradio: Die Kläger sind der Auffassung, man hätte zumindest die Leihgeber auf die Gefahr des Einsturzes hinweisen sollen. Ist Ihnen denn irgendetwas zu Ohren gekommen?
Rene Böll: Nein, wir haben überhaupt nichts gehört. Wir haben ja kurz vor dem Einsturz, also drei bis vier Wochen vorher, einen großen Teil des Nachlasses meines Vaters übergeben. Das hätten wir natürlich nie gemacht, wenn uns die Lage bekannt gewesen wäre.

domradio: Wenn man ihnen im Nachhinein gesagt hätte, es gibt diese Risse im Gebäude. Hätten sie dann die Auslagerung verlangt?
Rene Böll: Dann hätten wir die Auslagerung verlangt, wir hätten es ja nicht selbst auslagern können. Wir hätten natürlich verlangt, dass das Archiv geräumt wird.

domradio: Nach dem Einsturz des historischen Archivs hat die Stadt Köln die Leihgeber nicht informiert welche Dokumente gefunden wurden und wo sie jetzt gelagert sind. Wie beurteilen Sie das Verhalten der Stadt im Nachhinein?
Rene Böll: Ich persönlich glaube, dass die Stadt das gar nicht kann und auch in den nächsten Jahren gar nicht können wird. Es scheint ja einmal so, dass niemand den Überblick hat was wirklich gerettet worden ist. Ich glaube die ganzen Zahlen, die da immer rumschwirren, 85 Prozent, 90 Prozent, wie auch immer, davon glaube ich sehr wenig. Es scheint, meiner Meinung nach, überhaupt keinen Überblick zu geben. Es wird wohl auch Jahre dauern bis man einen Überblick hat. Was ich außerdem glaube, dass niemand weiß was im Archiv überhaupt drin war. Es gab sehr viele Nachlässe, dazu gehörte auch ein großer Teil des Nachlasses meines Vaters, die noch gar nicht dokumentiert oder aufgearbeitet waren. Wie will man denn feststellen was da überhaupt drin war?

domradio: Es scheint für sie eine ganz furchtbare Wahrheit zu sein?!
Rene Böll: Es ist für mich und meine Familie eine ganz schreckliche Sache, weil es nicht nur meinen Vater betrifft, sondern die gesamte Familie. Es betrifft auch meine Kinder und meine Enkel, die sich diese Sachen später auch anschauen wollten. Wir hatten ja auch einen Vertrag mit der Stadt, wonach wir jederzeit Zugriff auf diese Materialien haben. Es sind ja Urheberrechte damit verbunden. Es soll daran geforscht werden. Dies alles ist ja jetzt unmöglich und ich denke auf Jahrzehnte hin.

domradio: Können Sie verstehen, dass eine Stadt Köln, die sich doch ihres historischen Erbes bewusst sein sollte und den Menschen, die der Stadt so verbunden waren, dass sie ihren Nachlass überantwortet haben. Können Sie sich erklären warum eine so sträfliche Sache passieren konnte?
Rene Böll: Ich denke das Wort ‚Korruption' ist strafbewährt - das möchte ich bewusst nicht verwenden. Aber ich denke, dass viele Sachen noch juristisch aufgearbeitet werden müssen. Ich denke, wenn die KVB (Kölner Verkehrsbetriebe, Anm. d. Red.) selbst die Bauaufsicht gehabt hat, ist es ein Schildbürgerstreich allererster Klasse, wenn es so gewesen ist. Ich glaube bei keinem Einfamilienhaus, mit einem Stockwerk, kriegen sie selbst die Bauaufsicht. Bei einem Projekt dieser Größe ist unglaublich geschlampt worden, das steht auf jeden Fall fest.

domradio: Unter welchen Umständen könnten sie sich auch vorstellen gegen die Stadt zu klagen?
Rene Böll: Wir werden jetzt zunächst mal abwarten wie sich die Stadt verhält, wie sie zu dem Schaden steht, der ja unglaublich schwer zu beziffern ist. Wie wollen sie beziffern, dass Originalmanuskripte, also zehntausende Seiten, vernichtet worden sind; dass tausende Fotos, die ja nicht gescannt worden sind, nicht mehr da sind. Wie wollen sie einen solchen Schaden beziffern? Ich finde das unglaublich schwierig! Das ist ein Schaden, der die Familie auf Jahrzehnte betrifft, der auch meine Familie, meine Nachkommen betrifft. Bei den anderen Nachlassgebern ist es ja ähnlich.

domradio: Die drei Kläger vor dem Landgericht wollen zumindest, dass sich die Stadt Köln zu ihrer Verantwortung bekennt. Wäre ihnen das auch wichtig?
Rene Böll: Das wäre mir auch wichtig, das habe ich von Anfang an gefordert. Das finde ich ein Witz, dass es bisher nicht passiert ist. Schließlich haben wir einen ausführlichen Vertrag, mit dem wir jahrelang gearbeitet haben. Darin verpflichtet sich die Stadt die Dinge sorgfältig aufzubewahren. Nicht nur das, sondern sie zu restaurieren, die Papiere zu entsäuern, sie uns zur Verfügung zu stellen. Das ist ein bestehender, rechtsgültiger Vertrag. Natürlich ist die Stadt in Verantwortung!

Das Gespräch führte Birgitt Schippers.