In Zarrentin erinnern Kirchen an Mauerfall

Idylle am Todesstreifen

Am 9. November erinnern das Erzbistum Hamburg und die evangelischen Kirchen Nordelbiens, Mecklenburgs und Vorpommerns im ehemaligen Zisterzienserinnenkloster "Himmelspforte" an das Ende der deutschen Teilung. Dafür dürfte es kaum einen besseren Ort geben.

Autor/in:
Sabine Kleyboldt
 (DR)

Rund 50 Kilometer östlich von Hamburg weist auf der Autobahn 24 ein Schild auf die "Ehemalige innerdeutsche Grenze 1945-1990" hin. Etwa zehn Kilometer weiter, hinter der Ausfahrt "Zarrentin", lässt kaum etwas in der malerischen Landschaft erahnen, dass die Gegend zu DDR-Zeiten Sperrgebiet war.

"Zarrentin lag zwar nur einen Steinwurf von der Grenze entfernt, aber Szenen wie an der Berliner Mauer gab es da am 9. November 89 sicher nicht, weil es ja völlig abgeschottet war", sagt Bernhard Angrick, Pfarrer der katholischen Filialkirche Herz Jesu in der Zarrentiner Bahnhofstraße. Das hieß: Wer in der Fünf-Kilometer-Zone ohne Passierschein erwischt wurde, ging hinter Gitter, berichtet der 59-Jährige. Scharf geschossen wurde lediglich in unmittelbarer Grenznähe, am Todesstreifen.

Heute zieht das über 300 Quadratkilometer große Unesco-Biosphärenreservat viele Ausflügler aus Hamburg und Mecklenburg nach Zarrentin. Wanderwege laden zur Erkundung der artenreichen Gegend ein, auf dem See werden Schwäne, Enten, Möwen und Rallen höchstens durch Schwimmer vom Strandbad oder Bootsfahrer gestört; am Ufer weiden Pferde und Kühe. Am Hang gegenüber erhebt sich das 1252 gestiftete Zisterzienserinnenkloster und die etwas früher errichtete Pfarrkirche, architektonischer Anziehungspunkt in dem 4.800-Seelenort.

300 Jahre lang das Ortsleben geprägt
Noch heute verweist der Äbtissinnenstab im Zarrentiner Stadtwappen darauf, dass die Nonnen rund 300 Jahre lang das örtliche Leben prägten. Von der ehemals umfänglichen Klosteranlage, die nach ihrer Säkularisierung zur Zeit der Reformation zusehends verfiel und erst nach der Wende liebevoll saniert wurde, sind der östliche Kreuzgang und einige Räume erhalten. Seit der Wiedereröffnung 2006 wird das nach wie vor imposante Gebäude rein säkular für die städtische Bücherei und Büros sowie für Ausstellungen und Veranstaltungen genutzt.

Dass sich im früheren Refektorium am 9. November mindestens vier Bischöfe, Vertreter der Landesregierungen von Hamburg, Schleswig-Holstein und Mecklenburg-Vorpommern und viele "Normalbürger" versammeln, findet der evangelische Pfarrer Jürgen Meister ebenso erfreulich wie angemessen. "Wir sind hier nach wie vor Nahtstelle zwischen Ost und West", sagt der 48-Jährige, seit acht Jahren Pastor in der Zarrentiner Klosterkirche.

"Wir wollen eine Erinnerungskultur fördern"
Hier wird es zunächst um 17 Uhr einen ökumenischen Gottesdienst geben mit dem Hamburger Erzbischof Werner Thissen, dem Schleswiger Bischof Gerhard Ulrich, dem Pommerschen Bischof Hans-Jürgen Abromeit und dem mecklenburgischen Landesbischof Andreas von Maltzahn. Beim anschließenden Begegnungsabend im Refektorium berichten Zeitzeugen aus Ost und West live und im Film von ihren "Grenz-Erfahrungen". Im Gottesdienst würden auch die Schrecken der Pogromnacht, für die der 9. November ebenfalls steht, nicht ausgeklammert, kündigten die Kirchen an. Derzeit feilt ein ökumenisches Vorbereitungsteam am genauen Programm. Dem Hauptthema, der einstigen deutschen Teilung, wird in der Kirche schon formal Rechnung getragen, berichtet Meister. Denn die Feier soll ein Anklang an die Friedensgebete sein, die für viele einen entscheidenden Anteil am Ende der DDR hatten. So werden auch möglichst viele Laien zu Wort kommen, Fürbitten vortragen, Kerzen anzünden und in Erinnerung an den Mauerfall Steine ablegen.

"Wir wollen eine Erinnerungskultur fördern", so der Pastor. Denn vieles, was die Menschen damals auf die Straße trieb, sei heute nicht mehr gegenwärtig: etwa die Forderung von Grundrechten wie Meinungs-, Versammlungs- und Reisefreiheit. Ebenso wolle die Gedenkfeier aktuelle Probleme wie Arbeitslosigkeit berühren, so Meister. Auch sein katholischer Kollege Angrick wünscht sich, dass im Gottesdienst die unterschiedlichen Sichtweisen von "Ossis" und "Wessis" auf das Geschehen vor 20 Jahren deutlich werden.

Die gegenwärtige Diskussion um die Bewertung der DDR passe vielen nicht in den Kram, doch sie sei notwendig, sagt der gebürtige Mecklenburger. "Es gibt eben auch Verlierer der Wende, und die sind nicht nur ideologisch belastet." Dennoch sieht Angrick sehr viele Gründe, dankbar zu sein für das, was da in den letzten 20 Jahren gewachsen ist. Diese Dankbarkeit soll am 9. November in Zarrentin deutlich zum Ausdruck kommen.