Migrationssoziologe Jörg Alt zur Bedeutung von Illegalen

"Der größte Zufluss ausländischer Währungen"

Der Jesuit und Migrationssoziologe Jörg Alt hat am Donnerstag in Nürnberg sein neues Buch "Globalisierung - illegale Migration - Armutsbekämpfung" vorgestellt.

 (DR)

Im Interview der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA) spricht er über seine Begegnung mit illegalen Migranten und deren Familien, die Auswirkungen der Wirtschaftskrise auf diese Menschen und über ihre Bedeutung für ihre Heimatländer.

KNA: Pater Alt, Sie haben ein neues Buch zum Thema illegale Migration geschrieben. Welche Einblicke in diese unbekannte Welt konnten Sie gewinnen?

Alt: Ich habe die Migrationskette das erste Mal von beiden Seiten kennengelernt. So traf ich Familienangehörige der Migranten in den Herkunftsländern, konkret im Toledo District im mittelamerikanischen Staat Belize, und auch die illegalen Migranten selbst an ihrem Arbeitsort in Los Angeles. Die illegale Migration ist auf der ganzen Welt immer noch eine Wachstumsbranche. Mich hat vor allem beeindruckt, dass die Väter bewusst auswandern, um ihren Kindern eine bessere Ausbildung zu ermöglichen.

KNA: Wie wirkt sich die Globalisierung aus?
Alt: Die Globalisierung mobilisiert Menschen zur Migration, die sonst wahrscheinlich zu Hause geblieben wären. Die Bürger in Toledo waren etwa vor 20 bis 30 Jahren komplett von der Welt abgeschnitten. Wichtigen Einfluss auf Migration haben der Straßenbau, Elektrizität, moderne Kommunikationsmittel und der Tourismus. Dort, wo solche Entwicklungen nicht stattgefunden haben, gibt es kaum Emigranten.

KNA: Illegale Migranten leben ja von illegaler Arbeit. Spüren auch sie die Krise?
Alt: Sie sind durch die Krise benachteiligt und auch bevorzugt.
Illegale können nicht einfach wie legale Migranten das Land verlassen, um das Ende der Missstände zu Hause abzuwarten, wo die Familie ist und die Lebenshaltungskosten billiger sind. Die Ausreise wäre sehr riskant, und die illegale Wiedereinreise könnten sie sich nicht leisten. Bevorzugt sind Illegale aber von der Weltwirtschaftskrise, weil sie als Arbeitskräfte flexibel und billig sind. Darauf sind Arbeitgeber gerade jetzt angewiesen. So können sie billige Aufträge anbieten. Deshalb werden eher legale als illegale Arbeitskräfte entlassen.

KNA: Welche Branchen betrifft dies vor allem?
Alt: Das sind arbeitsintensive Branchen wie etwa das Baugewerbe, das Hotel- und Gaststättengewerbe, die Alten- und Krankenpflege sowie die Landwirtschaft. Das Phänomen gilt für alle Länder, auch für Deutschland.

KNA: Gibt es auch positive Effekte dieser illegalen Migration?
Alt: Natürlich leidet das Herkunftsland darunter, dass die besten Leute auswandern. Doch die Migration hilft sehr stark, die Armut vor Ort zu bekämpfen. Die Rücküberweisungen der illegalen Migranten übersteigen etwa weltweit die zwischenstaatliche Entwicklungshilfe um ein Zweifaches. Da geht es um Milliarden-Summen. Es ist in vielen Ländern der größte Zufluss an ausländischer Währung, noch vor Tourismus, Öl und anderen Rohstoff-Einnahmen. Natürlich kann das dazu führen, dass sich die Verwandten vor Ort nur auf dieses Geld verlassen.

KNA: Das würde ja staatliche Hilfe schon fast überflüssig machen?
Alt: Natürlich finanzieren illegale Migranten gewissermaßen einen Teil der Entwicklungshilfe. Aber deshalb gäbe es ja noch jede Menge Möglichkeiten, Geld für die Armutsbekämpfung zu generieren. Ich schlage eine Finanztransaktionssteuer auf alle spekulationsanfälligen Finanztransaktionen vor. Damit würde nicht nur die Stabilität der internationalen Finanzmärkte erhöht, sondern auch den Menschen geholfen, die am meisten unter dieser Krise leiden.

KNA: Welche Erwartungen haben Sie an die neue Bundesregierung: Was muss sie tun für die Illegalen?
Alt: Zwar hat sich die Wahrnehmung des Themas illegale Migration in den vergangenen 15 Jahren deutlich verbessert, doch für die Menschen gab es bisher keine Verbesserung. Die Menschenrechte von Illegalen sind in Deutschland immer noch bedroht. Wichtig wären Erleichterungen in Bezug auf die Möglichkeit, Geld in die Heimatländer zu überweisen. Ohne einen richtigen Zugang zu Banksystemen kommen solche Transfers teuer und sind auch riskant.

Das Interview führte Christian Wölfel.

Hinweis: Jörg Alt, «Globalisierung, illegale Migration, Armutsbekämpfung. Analyse eines komplexen Phänomens.» von Loeper Literaturverlag Karlsruhe, 380 Seiten, 24,90 Euro.