Kulturwissenschaftler Kissler zum "Kampf der Kulturen" zwischen Gläubigen und Atheisten

"Ein Vergleich ist keine Gleichsetzung"

Vor einer Verharmlosung des so genannten neuen Atheismus warnt der Kulturwissenschaftler und Publizist Alexander Kissler. Im domradio-Interview zeigt er zwar Verständnis für Kritik an Kardinal Meisners Dawkins-Schelte, verweist aber auf einen neuen Kampf der Kulturen, der von Seiten eines "pseudowissenschaftlicher Atheismus" aufgenommen worden sei.

 (DR)

domradio: Kardinal Meisner hat die Auffassungen des britischen Zoologen Dawkins mit dem Weltbild der Nationalsozialisten verglichen und ihn als Vorreiter der neuen Gottlosen bezeichnet. Das ruft heute zahlreiche Kritiker auf den Plan.
Kissler: Ich verstehe, dass man sich darüber aufregt. Man sollte aber zunächst mal unabhängig von diesem Fall berücksichtigen, dass ein Vergleich ja keine Gleichsetzung ist: Man kann nur vergleichen, was ungleich ist, das sagt ja schon die Erfahrung. Zum anderen ist es natürlich gerade in Deutschland immer unklug, einen Nazi-Vergleich zu wählen, weil solche Vergleiche in der Regel auf den zurückfallen, der sie getätigt hat und nicht auf die, die damit angegriffen werden sollen.

domradio: Die Aussagen des Kardinals würden die Gräben nur wieder vertiefen, sagen die Wissenschaftler.
Kissler: Ich glaube, die Vertreter der Wissenschaft gibt es so ja gar nicht. Wir haben eine vielfach differenzierte Wissenschaftslandschaft, wenn überhaupt kann es hier nur um einen speziellen Zweig der Naturwissenschaften, die ja auch wiederum nur einen Teil der Wissenschaftswelt ausmachen, gehen. Und hier wiederum um den experimentierenden Naturwissenschaftler, der mit seinen Vorgehensweisen gewissermaßen von Herrn Dawkins in Geiselhaft genommen wird. Es ist oft auch nur ein pseudowissenschaftlicher Atheismus, der eben vermeintlich naturwissenschaftlich daherkommt.

domradio: Der Erzbischof hat in seiner Predigt beklagt, das in DDR-Zeiten propagierte Gebot "Du sollst keine Götter neben der Wissenschaft haben" feiere wieder Auferstehung. Der Mensch werde wie damals "auf das quantitativ Messbare reduziert". Was ist das Anliegen Meisners bei dieser Predigt?
Kissler: Die Gefahr, dass wir im Menschen nur noch eine Maschine sehen, die nach verschiedenen Zwecken programmiert werden soll, ist in der Tat real. Allerdings kann man da nicht die gesamte Wissenschaft in Verantwortung nehmen, sondern nur jenen Teil, der bei diesem durchaus brutalen Atheismus von Herrn Dawkins dabei ist. Hier muss man wissen, dass es die Neoatheisten und Dawkins an erster Stelle selbst gewesen sind, die immer wieder mit Nazi-Vergleichen gearbeitet haben. In seinem bekanntesten Buch "Der Gotteswahn" schreibt Dawkins, der Einzug ins gelobte Land sei "moralisch nicht von Hitlers Invasion in Polen zu unterscheiden". Und in seinem neuen Buch sagt er, wer die Evolutionstheorie leugne, der leugne ebenso die Geschichte wie die Holocaustleugner. Insofern kann man sagen, hier wurde ein grober Klotz auf einen sehr groben Keil gesetzt.

domradio: Ist das eine Art neuer Kulturkampf, der sich da abspielt?
Kissler: Ich glaube in der Tat, dass wir eine immer größere Polemik gerade von Seiten gewisser Naturwissenschaftler erleben, allerdings sind es nur jene, die die Erkenntnisgrenzen ihres eigenen Faches überwinden und meinen, man habe nun mit gewissen naturwissenschaftlichen Erkenntnissen den Generalschlüssel zu sämtlichen Rätseln und Phänomenen dieser Welt gefunden. Zu einen Kulturkampf gehören aber immer zwei dazu und diese neue Direktheit ist eine neuer Debattenzug, an den wir uns in Deutschland noch gewöhnen müssen. In  anderen Länder wie den USA oder England ist das gar keine Besonderheit mehr.

domradio: Wie sollte der Disput geführt werden?
Kissler: Wir brauchen auf jeden Fall eine gemeinsame Verpflichtung von strikt säkularen Denkern und jenen, die ihre Überzeugung aus dem Glauben beziehen. Diese könnte darin bestehen, dass man sagt: "Wir forschen nach Wahrheit, aber wir haben verschiedene Instrumente. Auf dieser Suche ist uns jeder, der redlich mit uns im Streit ringt, willkommen." Persönliche Diffamierungen helfen da nicht weiter. Momentan ist allerdings ist der Kulturkampf in der Tat ausgebrochen und jetzt versuchen beide Parteien ihre Arsenale zu schärfen. Ich bin sehr gespannt, wie sich das noch weiter entwickeln wird.

Das Interview führte Monika Weiß.