MISEREOR spricht sich gegen die Kürzung von Entwicklungshilfe für Schwellenländer aus

"Es geht um Armutsbekämpfung"

Die Pläne des neuen Entwicklungsministers Dirk Niebel zur Kürzung oder Streichung von Hilfen an Schwellenländer wird nun auch vom kirchlichen Hilfswerk MISEREOR kritisiert. Dr. Martin Bröckelmann-Simon warnt im domradio-Interview vor einer vorschnellen Aufgabe von Einflussmöglichkeiten.

 (DR)

domradio: China und Indien gehören tatsächlich zu den derzeitigen Wirtschaftsriesen weltweit. Ist es gerechtfertigt dort weiterhin Entwicklungshilfe zu leisten?
Dr. Bröckelmann-Simon: Aus unserer Sicht auf jeden Fall! Kirchliche Entwicklungsarbeit folgt natürlich einer anderen Logik als staatliche. Wir kooperieren ja nicht mit Ländern, sondern uns geht es darum, Armut und unerträgliche Bedingungen für arme Menschen dort zu bekämpfen, wo sie auftreten und das ist natürlich auch in China und Indien der Fall. In China rechnet man mit etwa 450 Millionen Menschen, die täglich unter zwei Dollar Einkommen haben und in Indien gibt es 350 Millionen Arme. Das fordert uns heraus, und wir sind überzeugt, dass es ein wichtiger sozialpolitischer Beitrag ist, sich für die Verbesserung der Situation der Armen in diesen Ländern einzusetzen. Das haben wir all die Jahre hindurch getan und werden wir sicher auch als Misereor weiter tun. Insofern haben wir da eine dezidiert andere Position als das Entwicklungsministerium, aber natürlich auch eine andere Rolle.

domradio: Schon unter der Großen Koalition wurden die finanziellen Hilfen für China eingestellt. Es geht jetzt lediglich noch um die Finanzierung einer technischen Zusammenarbeit. Was ist das genau?
Dr. Bröckelmann-Simon: Damit ist insbesondere die Bereitstellung von technischem Sachverstand gemeint. Das betrifft insbesondere die staatliche Durchführungsorganisation GTZ (Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit), die durch die Bereitstellung von Experten und den damit verbundenen Mitteln, z.B. bei der Umsetzung von Infrastrukurmaßnahmen oder in der Umweltpolitik Beratung leistet und entsprechende Projekte mit auf den Weg bringt. Wir meinen, dass man durch eine Beendigung der Zusammenarbeit mit China auch gerade in Schlüsselfeldern wie der Umweltpolitik und der der künftigen Sozialpolitik auch Einflussmöglichkeiten vorschnell aufgibt.

Auch mit Blick auf die Milleniumsziele, die ja im Koalitionsvertrag ausdrücklich noch mal bekräftigt werden, wird man dem Ziel, die Armut weltweit zu reduzieren eigentlich nur dann näher kommen können, wenn es auch in China und Indien und anderen Schwellenländern entscheidende Veränderungen gibt. Wer sich aus diesen entscheidenden Tätigkeitsfeldern verabschiedet, verliert damit auch Möglichkeiten der Einflussnahme.

domradio: MISEREOR ist ja konkret von den Entscheidungen des Ministeriums betroffen. Die FDP wollte das Entwicklungshilfeministerium eigentlich abschaffen, nun führt sie es sogar. Bereitet Ihnen das Sorge?
Dr. Bröckelmann-Simon: Wir setzen jetzt erstmal auf den Dialog mit dem neuen Minister und seinen neuen Staatssekretären und werden sehen, ob wir unsere Vorstellungen zusammenbringen können oder nicht. Wir haben immer sehr deutlich gemacht, dass Entwicklungszusammenarbeit einer völlig anderen Logik gehorchen muss, als Außenwirtschaftsförderung und Außenpolitik. Wenn man es mit der Armutsbekämpfung ernst meint, dann muss es in erster Linie darum gehen, die Situation der Armen zu verbessern, und das kann nicht immer gleichzeitig der Logik der Erschließung deutscher Rohstoffinteressen oder Ähnlichem dienen. Darüber werden wir mit dem neuen Minister reden.

Uns stimmt hoffnungsvoll, dass der Koalitionsvertrag ja ganz entscheidende Tätigkeitsfelder in den Mittelpunkt rückt: Die Verbesserung der Ernährungssituation, eine stärkere Förderung der ländlichen Entwicklung, auch der Klimaschutz ist ausdrücklich angesprochen. Wir sehen eine Menge Anknüpfungspunkte. Ein wenig Sorge bereitet uns, dass das ganze Thema "Entwicklungsarbeit als Friedensbeitrag" nicht ausdrücklich erwähnt ist.

Wo wir sicherlich noch einmal nachfragen werden, sind die konkreten Schritte. Aus unserer Sicht hätten wir im Koalitionsvertrag gerne einige klarere Aussagen dazu gehabt, wie es mit der Steigerung der öffentlichen Entwicklungszusammenarbeit in den nächsten Jahren aussieht. Da steht nur ein allgemeines Bekenntnis zur Erhöhung des Entwicklungsetats. Das ist gut, aber wie man dahin kommen will, und was in den nächsten zwei bis drei Jahren passieren wird, das muss man sicher nachfragen.

Das Interview führte Dagmar Peters.