Kurienkardinal Kasper zum Jahrestag der Augsburger Erklärung

"Die Ökumene ist reifer geworden"

Die Augsburger "Gemeinsame Erklärung zur Rechtfertigungslehre" gilt als Meilenstein in der Ökumene. "Seitdem ist das Verhältnis zwischen Lutheranern und Katholiken bedeutend anders", sagt der deutsche Kurienkardinal Walter Kasper. Zum zehnten Jahrestag der Unterzeichnung der Erklärung am 31. Oktober 1999 zieht der Präsident des Päpstlichen Rates zur Förderung der Einheit der Christen im Interview der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA) in Rom eine gemischte Bilanz.

Walter Kardinal Kasper: Keine "Events und Kicks" am Sonntag (KNA)
Walter Kardinal Kasper: Keine "Events und Kicks" am Sonntag / ( KNA )

KNA: Herr Kardinal, kurz vor dem zehnten Jahrestag der Augsburger Erklärung zur Rechtfertigungslehre haben Sie ein Buch zu den vergangen vier Jahrzehnten des ökumenischen Dialogs vorgelegt: «Harvesting the fruits» - «Die Früchte ernten». Ist die Ernte im Trockenen?
Kasper: Es ist auf jeden Fall eine reiche Ernte, wenn auch noch nicht der Schlusspunkt. Ich hätte nie gedacht, dass wir in diesen mehr als 40 Jahren so viel erreichen könnten. Die Erklärung über die Rechtfertigung ist sicher ein Höhepunkt. Aber auch in der Ekklesiologie, der Ämterfrage und der Sakramentenlehre sind wir entscheidende Schritte weitergekommen. Das soll uns ein Anstoß sein weiterzumachen. Es hat sich gezeigt: Mit gutem Willen kann man etwas erreichen.

KNA: Die Augsburger Erklärung fand an der Kirchenbasis keinen großen Nachhall. Woran lag das?
Kasper: Für Katholiken ist Rechtfertigung kein Begriff aus dem normalen Katechismusgebrauch, und das Thema ist schwierig zu erklären. Augsburg hatte aber doch eine atmosphärische Bedeutung. Seitdem ist das Verhältnis zwischen Lutheranern und Katholiken bedeutend anders. Wir sind im Zentrum einig. In der Folge gab es etliche weniger bekannte Initiativen, etwa jährliche internationale Exegetentreffen in Rom, ein Symposium über den Ablass oder einen Dialog über die apostolische Nachfolge. Abgesehen davon läuft das Gespräch auf der Ortsebene ganz gut und geht hoffentlich auch so weiter.

KNA: Steht die Ökumene insgesamt vor einem Generationenwechsel - oder in einer Midlife-Crisis?
Kasper: Nach über 40 Jahren ist ein Generationswechsel verständlich. Es kommt eine neue Generation von Ökumenikern, die nicht mehr erlebt haben, wie es anfing. Natürlich haben junge Leute auch neue Ideen, und das ist gut so. Von Midlife-Crisis würde ich nicht sprechen - aber was verloren gegangen ist, ist der Enthusiasmus des Anfangs.

Wenn man jung ist, meint man Bäume ausreißen zu können; wenn man älter wird, spürt man deutlicher die Härte der Realitäten. Die Ökumene ist reifer geworden. Das heißt auch, dass wir mit mehr Realitätssinn an die Probleme herangehen.

KNA: Es gab bei allen Erfolgen auch Ärger, 2006 um ein lutherisches Dokument zum Amtsverständnis, jetzt um das interne EKD-Papier - nur ein paar faule Früchte?
Kasper: Ich hoffe, dass es nur ein paar faule Früchte sind und nicht ein Trend. Auch von unserer Seite gab es Papiere, die für die Evangelischen schwer zu verdauen waren. Aber die protestantischen Äußerungen zu Amt und Kircheneinheit waren zum Teil ja äußerst polemisch. Innerhalb der evangelischen Kirchen findet eine gewisse Fragmentierung statt. Es gibt Gruppen, die uns sehr nahe gekommen sind, andere distanzieren sich von der Ökumene. Das hat den Dialog nicht einfacher gemacht.

KNA: Das EKD-Papier erhebt schwere Vorwürfe - es ist die Rede von einem ökumenischen Stillstand, es sei nichts wirklich besser geworden. Was würden Sie dem entgegnen?
Kasper: Wenn man sieht, was in den letzten Jahren in Deutschland und auf internationaler Ebene passiert ist, kann man beim besten Willen nicht von einem Stillstand reden. Die Stellungnahme dieses Autors ist nicht nur arrogant, sie ist auch ignorant. Inzwischen hat sich die EKD davon distanziert. So kann der Dialog hoffentlich störungsfrei weiter gehen.

KNA: Umgekehrt hat der Vatikan mit seinen Äußerungen zum Kirchesein auch eine Verletzung evangelischer Gefühle in Kauf genommen. War das immer nötig?
Kasper: Es war nicht die Absicht, Gefühle zu verletzen. Aber man hätte das Gleiche sicher besser sagen können. Aber auf der anderen Seite trägt es auch zur Ökumene bei, wenn die katholische Position klar herausgestellt wird. Klarheit ist eine Voraussetzung für den Dialog. Im Übrigen hat schon das Toronto-Papier des Weltrats der Kirchen 1950 bekräftigt, dass es keine Bedingung für den Dialog ist, sich gegenseitig voll als Kirche anzuerkennen. Wenn wir das täten, brauchten wir den Dialog nicht. So sind auch diese Dokumente eine Herausforderung, weiter im Gespräch zu bleiben und nicht die Tür zuzumachen.

KNA: Sie werden nächstes Jahr 77 Jahre alt, blicken auf zehn Jahre im päpstlichen Einheitsrat zurück - was bleibt in der Ökumene noch zu tun?
Kasper: In den zehn Jahren haben wir doch einiges vorangebracht, nicht zuletzt den Dialog mit den Ostkirchen. Aber auch mit den evangelischen Christen ist viel in Bewegung geraten. Wir haben Gespräche mit Evangelikalen, Pfingstkirchen, charismatischen Bewegungen und Freikirchen angefangen. Das Spektrum ist breiter geworden. Es ist auch viel Freundschaft gewachsen zwischen den Kirchen, und das ist wichtiger als die Dokumente. Natürlich gibt es noch Aufgaben: Vor allem im Kirchen- und Amtsverständnis, teilweise auch im Eucharistieverständnis sind Klärungen mit den Evangelischen nötig. Mit gutem Willen kann es vorangehen. Man muss nur offen sein für die Argumente der anderen. Ich hoffe jedenfalls, dass in den zehn Jahren, die nach mir kommen, weitere Fortschritte geschehen.

Das Interview führte Burkhard Jürgens.