Neun fehlende Stimmen aus den eigenen Reihen verpatzen der Kanzlerin eine glanzvolle Wiederwahl

Makel für Merkel

Neun Stimmen fehlen. Nicht viel, aber genug, um Angela Merkel ein unbeschwertes Lächeln zu vermiesen. Als das Ergebnis ihrer Wiederwahl am Mittwoch im Bundestag verlesen wird, schaut die Bundeskanzlerin gefasst, lächelt gerade so viel wie eben nötig und lässt sich artig beklatschen. Merkel fehlen bei ihrer Wahl neun Stimmen aus den eigenen Reihen. Für den Beginn der schwarz-gelben Koalition ist das ein kleiner Makel.

Autor/in:
Christiane Jacke
 (DR)

Merkel und ihre angehender Vizekanzler, FDP-Chef Guido Westerwelle, hatten sich zuvor alle Mühe gegeben, den Fraktionen zu zeigen, wie das mit der Geschlossenheit funktioniert. Am Morgen laufen sie gemeinsam in den Plenarsaal ein und plaudern sich zusammen von einem Grüppchen zum nächsten. Erst scheint es fast so, als möge Westerwelle gar nicht mehr von Merkels Seite weichen. Kurz vor Bekanntgabe des Wahlergebnisses tritt er noch mal an den Tisch von Merkel und Unions-Fraktionschef Volker Kauder (CDU). Anschließend blickt die CDU-Chefin hoch auf die Pressetribüne und lächelt demonstrativ für die Fotografen.

Eine Minute später - das Resultat ist verkündet - fällt ihr das Lächeln schwerer. 323 Abgeordnete haben für sie gestimmt. Genug zum Regieren, aber zu wenig zum Glänzen. 332 Sitze haben Union und FDP zusammen im Parlament, von ihnen waren alle anwesend.

Zumindest beim Applaus demonstrieren die Abgeordneten von CDU, CSU und FDP Geschlossenheit: Sie stehen alle auf und spenden minutenlang Beifall. Oben auf der Besuchertribüne klatschen Merkels Eltern, Herlind und Horst Kasner. Ihr Ehemann Joachim Sauer ist wie schon 2005 nicht dabei. In den Oppositionsrängen gibt es dagegen erst Applaus, als die Nein-Stimmen verlesen werden - insbesondere bei der SPD. Die Sozialdemokraten müssen sich inzwischen an den kleinen Dingen erfreuen.

Kurz darauf scharen sich die Gratulanten um Merkel. Kauder ergreift die erste Chance, als zweiter drängelt sich Westerwelle durch den Pulk, erst dann schafft es Merkels früherer Vizekanzler, der jetzige SPD-Fraktionschef Frank-Walter Steinmeier. Anschließend kommen nach und nach die übrigen Fraktionschefs an die Reihe. Kauder und Westerwelle laufen ein wenig abseits aufeinander zu, breiten die Arme weit aus und klopfen sich auf die Schulter. So herzlich geht es wenig später nicht mehr zu.

Wer war es?
Während Merkel im Plenarsaal weiter Hände schüttelt und die Schlange der Gratulanten abarbeitet, geht draußen in der Lobby das Sticheln los. «Ich könnte jetzt sagen, aus meiner Fraktion haben alle mitgewählt», sagt Kauder. Die Analyse, «wo nun wer nicht mitgemacht hat», mache aber wenig Sinn. Schließlich sei es eine geheime Wahl gewesen. Die neuen Regierungskollegen der FDP dürften solche Schuldzuweisungen wenig freuen.

Der CDU-Haushaltsexperte Steffen Kampeter tut die Frage nach den fehlenden Stimmen denn auch schnell ab. «Welche neun Stimmen?» fragt er und verweist ebenfalls auf die geheime Wahl. «Jeder wird wissen, was er gemacht hat.» Der neue Innenminister Thomas de Maizière (CDU) mag über die fehlenden Stimmen erst gar nicht reden. Die Wiederwahl sei grundsätzlich ein «Ritterschlag erster Klasse». Das zähle.

Linke-Fraktionschef Gregor Gysi zählt trotzdem lieber Stimmen. Neun hätten nun mal gefehlt, sagt er und grinst. «Hundertprozentig» sei die Wahl also nicht gewesen. Steinmeier spricht von einem «Fehlstart» für Schwarz-Gelb. Auch Grünen-Fraktionschef Jürgen Trittin schlachtet das Ergebnis in der Lobby genüsslich aus. Die Uneinigkeit von Union und FDP über Inhalte spiegele sich nun eben in diesem «dissenten Stimmverhalten» wider, sagt er und spottet: «Das versprechen spannende vier Jahre zu werden.»
Zollitsch: Ungerechte Lastenverteilung
Der Vorsitzende der Bischofskonferenz, Erzbischof Robert Zollitsch, äußerte sich erfreut über Merkels Wiederwahl. Er sicherte ihr die Symphatie und Gesprächsbereitschaft der Bischofskonferenz zu. Von Merkels zweiter Amtszeit erhoffe er sich Impulse für den inneren Zusammenhalt der Gesellschaft sowie «soziale Ausgewogenheit», so Zollitsch.

Gegenüber der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA) sprach der Bischofskonferenz-Vorsitzende von einer ungerechten Lastenverteilung mit Blick auf nachkommende Generationen in Deutschland. «Wir dürfen heute nicht zulasten derjenigen leben, die sich nicht dagegen wehren können.» Deshalb müsse nun das Problem der Schulden angegangen werden, die sich durch die Maßnahmen zur aktuellen Krisenbewältigung aufgetürmt hätten. Weiter mahnte der Konferenz-Vorsitzende die Sicherung der Sozialsysteme an; dazu zähle auch eine «verantwortungsvolle Arbeitsmarktpolitik».