Experte fordert vor Ernährungsgipfel von Politik "strukturelle Reformen"

Milliarden investiert, eine Milliarde hungert weiter

Mitte November findet in Rom der Welternährungsgipfel statt. Bereits heute und morgen bereiten Experten das Treffen in der italienischen Hauptstadt vor. Armin Paasch von der internationalen Menschenrechtsorganisation für das Recht auf Nahrung FIAN im domradio-Interview über Erwartungen und Versäumnisse der Vergangenheit.

 (DR)

domradio: In den vergangenen Jahren wurden bereits zahlreiche Initiativen gegen den Hunger weltweit gestartet - wie wirksam waren sie?
Paasch: Unterm Strich muss man leider sagen: Besonders wirksam waren sie nicht. Man muss sich nur die aktuellen Zahlen ansehen. 2008 hatten wir eine Weltrekord-Getreideernte - die Zahl der Hungernden ist 2009 dennoch über eine Milliarde geklettert. Das ist ein skandalöser Weltrekord. Deshalb muss man sagen, dass alle Programme nicht ausreichend gewirkt haben.

domradio: Was würde denn wirken?
Paasch: Was hat die Internationale Staatengemeinschaft unternommen? An Geld alleine hat es nicht gemangelt, das Welternährungsprogramm hat beispielsweise 5,1 Milliarden Dollar alleine seit Juni 2008 ausgegeben, die Weltbank 2,2 Milliarden, die FAO, die Welternährungsorganisation der UNO 350 Millionen. Das Problem ist eine falsche Schwerpunktsetzung. Es hat zwei Schwerpunkte gegeben: Einmal war da die Nahrungsmittelhilfe, zum anderen die Verteilung von Hybridsaatgut und Kunstdünger. Alles war darauf ausgerichtet, die Produktivität zu steigern, insbesondere auch in Entwicklungsländern. Das Problem aber ist nicht ein Mangel an Angebot, sondern eine ungerechte Verteilung und Verwendung. Wir brauchen strukturelle Reformen. Die Landrechte gegenüber ausländischen Investoren müssen gestärkt werden. Wir brauchen eine Landumverteilung. In Ländern wie Brasilien, Paraguay und Südafrika ist das Land sehr ungerecht verteilt, viele ländliche Arme haben gar keinen Zugang zu eigenem Land. Die Märkte müssten geschützt werden vor Billigimporten. Das Dumping der Industrieländer muss aufhören, diese Länder müssen aufhören, ihre Exporte so zu subventionieren, dass sie verbilligt auf den lokalen Märkten ankommen und die Kleinbauern dort vertrieben werden. Spekulationen müssen reguliert werden - ein Hauptfaktor für die extremen Preissteigerungen vor zwei Jahren, verantwortlich für den Hunger von mehr als 100 Millionen Menschen. An diesen Punkten muss man ansetzen - bei den aktuellen Programmen kommt das viel zu kurz.

domradio: Wie sind die Folgen der Wirtschaftskrise zu spüren?
Paasch: Die sind schon ganz deutlich zu spüren. Die Fehlspekulationen der Industrienationen treffen die Entwicklungsländer mit voller Wucht. Drei Punkte sind da entscheidend: Besonders in den Exportsektionen sind Millionen Arbeitsplätze verloren gegangen, weil die Aufträge weniger geworden sind. Ein zweiter Punkt sind teure Kredite, hier spricht man ja auch von der Kreditklemme. Kleinbauern im Süden kommen überhaupt nicht  mehr an Kredite ran und können nicht mehr die notwendigen Investitionen machen. Der letzte Punkt sind die Überweisungen, die traditionell von Migranten nach Hause geschickt wurden, ein sehr hoher Betrag, der jetzt fehlt. Die Finanzkrise ist also angekommen - sie wird aber in der internationalen Politik noch viel zu wenig beachtet.

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Hintergrund
Eine hochrangige Expertentagung will sich am 12. und 13. Oktober in Rom mit Perspektiven der globalen Ernährungssicherheit im Jahr 2050 befassen. Die Konferenz mit 300 Teilnehmern von Wissenschaft, Nichtregierungsorganisationen und privaten Institutionen bereitet laut FAO den Welternährungsgipfel vor, der von 16. bis 18. November in der italienischen Hauptstadt tagt.