Rupert Neudeck ruft nach Cap-Anamur-Freispruch Politik zu neuer Flüchtlingspolitik auf

"Wir brauchen Leuchttürme"

Nach dem Cap-Anamur-Freispruch vom Vorwurf der Beihilfe zur illegalen Einwanderung hat Rupert Neudeck die Politik vor den Folgen ihrer Flüchtlingspolitik gewarnt. Im domradio-Interview forderte der Gründer der Hilfsorganisation, weiter in Afrika zu investieren.

 (DR)

domradio: Als das Urteil kam - wie ist es Ihnen ergangen?
Neudeck: Ich hatte bereits ein ganz klares und sicheres Gefühl in den Tagen zuvor, dass es nur Freispruch sein kann, weil ich mir nicht vorstellen wollte und konnte, dass Italien sich das Unrecht antut, diese Menschen, die da gerettet haben, zu verurteilen. Und genau so ist es ja gewesen. Also große Erleichterung auf allen Seiten. Sowohl in Italien wie in Deutschland.

domradio: Welches Signal setzt der Freispruch?
Neudeck: Er bestätigt und festigt noch einmal das uralte Menschenrechtsgesetz, dass bereits im römischen Gesetz und in Europa gelten muss: dass man Menschen helfen muss, die auf der See und in Gefahr sind, dort zu ertrinken. Das ist eine der wichtigsten Menschenrechtsvorstellungen, die Europa als universales Recht in die Welt gebracht hat. Und das durfte natürlich auf keinen Fall in Europa dementiert werden. Und deshalb ist das eine große Unterstützung für alle humanitären Aktionen zu Lande, zu Wasser und zu Luft.

domradio: Was bedeutet das Urteil für die verantwortlichen Kapitäne auf See?
Neudeck: Eigentlich jetzt erstmal nur die allgemeine Bestätigung. Der muss aber jetzt ein besonderer Teil folgen: Ich habe die große Erwartung an meine neue Bundesregierung, dass sie etwas tut, damit Kapitäne der Handelsschiffe, das sind ja die viel wichtigeren als ein oder das andere humanitäre Rettungsschiff, ermutigt werden, dieser alten menschenrechtlichen Pflicht nachzukommen. Und das kann man dadurch tun, dass man sich vereinbart in der Europäischen Union, dass sofort, wenn ein Kapitän eines Handelsschiffes gerettet hat, ihm diese Flüchtlinge im nächst besten Hafen Europas abgenommen werden. Das muss jetzt unbedingt in der EU besprochen und entschieden werden. Gleichzeitig wünsche ich mir, dass solche Kapitäne ganz besonders ausgezeichnet werden. Denn die haben wirklich eine Entscheidung zu fällen, und die sind dafür wirklich zu loben.

domradio: Was bedeutet das Urteil jetzt für die Flüchtlingspolitik der betroffenen Länder?
Neudeck: Ich denke, das Urteil ist nur ein Ausgangspunkt. Wir müssen in Europa jetzt begreifen, dass das die Frage der nächste fünf Jahre ist, die wird uns in Europa nicht mehr ruhen lassen. Wir haben sie noch gar nicht begriffen. Im Wahlkampf ist sie nicht vorgekommen, bei den Koalitionsverhandlungen kommt sie auch nicht vor, es wird spätestens dann sein, wenn diese jungen afrikanischen Migranten die kanarischen Ferieninseln überrennen, Gran Canaria, Teneriffa und Lanzerote. Dann wird uns klar werden: Wir müssen unsere Politik ändern. Wir müssen versuchen, dem Kontinent Afrika, dem es so dreckig geht, dort Leuchttürme zu schaffen, dort mit einzelnen Ländern so gute Verhältnisse zu schaffen, wirtschaftlichen Aufbau zu schaffen, Mikrokredite dort hinzubringen. So dass junge Menschen dort ihr Auskommen und ihre Perspektive haben. Das ist die wichtigere Aufgabe gegenüber allen See-Notrettungsaktionen.

domradio: Wie geht es mit Cap Anamur weiter nach diesem Urteil?
Neudeck: Cap Anamur hat eine ganz hervorragende Konsequenz aus dem Urteil gezogen: Die haben nämlich in der Zeit, in der alles noch in der Schwebe war, die Arbeit in afrikanischen Ländern so ausgeweitet und verstärkt, dass man davon ausgehen kann, dass das die Arbeit ist, dass weniger Menschen aus Afrika herausgehen wollen.