Herta Müller erhält den Literaturnobelpreis - Ihre Themen sind Diktatur und Heimatlosigkeit

Gebrechlicher Augenblick

Der Literaturnobelpreis für Herta Müller kam für manche Kritiker als Überraschung. Schließlich ist die Autorin erst die zwölfte Frau unter den bisher 105 Preisträgern. Aber an der hohen literarischen Qualität ihrer Werke gibt es keine Zweifel.

Autor/in:
Mario Scalla
 (DR)

Für das Leben in der "Angstwelt des Kommunismus" fand Herta Müller neue, eindringliche Ausdrucksformen. In Rumänien geboren, kann sie doch als deutsche Schriftstellerin gelten.

Herta Müller wuchs in der deutschen Minderheit im Banat auf und kam 1987 in die Bundesrepublik. Als Hauptwerk wird ihr Roman "Herztier" (1994) angesehen. Er ist intensive Erinnerungsarbeit. Der Roman führt in die Welt der Studenten in Rumänien, die gegen das totalitäre System der Kommunistischen Partei rebellieren. Aber die Gruppe der kritischen Studenten und Studentinnen wird von der Geheimpolizei infiltriert.

Es gelingt dem Geheimdienst, die kritische Gruppe aufzulösen. Eine Studentin, die sich auf eine Affäre mit einem Parteifunktionär eingelassen hatte, wird ermordet. Der Mord wird vertuscht, alle, die sich nicht unter das Regime ducken wollen, werden schikaniert.

Herta Müller erzählt, wie sich ein autoritäres Regime in den Alltag von Studenten einmischt und ihren Widerstand bricht. Sie beschreibt in einer sensiblen, intensiven und bohrenden Sprache, warum es so schwierig ist, unter extremen Bedingungen die eigene Integrität und Autonomie zu bewahren. In vielen Büchern fragt sie, wie die Menschen mit ihren Beschädigungen umgehen.

Immer wieder schaut sie auf ihre Kindheit zurück
Erlösung gibt es in dem Werk von Herta Müller keine. Immer wieder schaut sie auf ihre Kindheit und frühe, prägende Ereignisse zurück. Bei der Verleihung des Kleist-Preises 1994 nannte sie als Lebensphilosophie: "Es gibt für das, was das Leben ausmacht, keinen Durchblick. Nur gebrechliche Einrichtungen des Augenblicks. Und Zurechtlegungen, die nicht bis zum nächsten Schritt halten."

Ihre literarischen Anfänge waren schwierig. Am 17. August 1953 in dem kleinen Ort Nitzkydorf geboren, studierte sie an der Universität von Temeswar Germanistik und Romanistik. Sie arbeitete als Deutschlehrerin, versuchte es als Kindergärtnerin und Übersetzerin. Aber weil sie es hartnäckig ablehnte, unter der Diktatur von Nikolai Ceausescu für den rumänischen Geheimdienst tätig zu werden, wurde sie 1980 wieder entlassen.

Ausreise 1985
Müller begann mit kurzen Texten, den "Niederungen", die in Rumänien 1982 nur zensiert erscheinen konnten. Das in Deutschland veröffentlichte Original war sofort ein Erfolg. Müller konnte zunächst wieder als Lehrerin arbeiten. Der rumänische Geheimdienst belästigte sie aber weiter mit Durchsuchungen, Drohungen und Verhören. 1985 beschloss sie zusammen mit ihrem Mann, dem Schriftsteller Richard Wagner, auszureisen.

Zwei Jahre musste sie warten, durfte in dieser Zeit in Rumänien weder literarische Texte veröffentlichen noch in andere Länder reisen. In der Bundesrepublik wurde sie in den 80er Jahren als sprachmächtige Autorin schnell bekannt und geschätzt. In schneller Folge erschienen mehrere Prosabände: "Drückender Tango" (1984), "Der Mensch ist ein großer Fasan auf der Welt" (1986) und "Barfüßiger Februar" (1987).

In ihren Texten drückt sich das Gefühl der Heimatlosigkeit genauso aus, wie die Erinnerung an die Diktatur in Rumänien in ihnen lebendig ist. "In meiner Stirn sind die Beschädigungen einer Einheimischen und die Bedenken eines fremden Passagiers", schrieb die Autorin 1995. Zuletzt erschien "Atemschaukel" über ein sowjetisches GULAG.

Herta Müller galt lange Jahre als Mitfavoritin auf den Literaturnobelpreis. Auch in diesem Jahr zählte sie zum engeren Kreis. Aber so recht konnte sie nicht an ihre Chancen glauben: "Ich bin kein Star und mag auch nicht in die Öffentlichkeit gezerrt werden", sagte sie einmal.