Schwarz-Gelb zeigt sich einigungswillig - Präses befürchtet soziale Kälte

Wie teuer wird das neue Glück?

In demonstrativer Einigkeit begannen CDU, CSU und FDP am Montag mit den Koalitionsverhandlungen. Die künftigen Regierungsparteien wollen Deutschland "beglücken". Aber wie? Mindestens 75 Milliarden Euro müssen Bund, Länder und Gemeinden künftig jährlich sparen, schätzen Wirtschaftsexperten nun. Der rheinische Präses Nikolaus Schneider befürchtet mehr soziale Kälte.

 (DR)

"Ich fürchte, dass mit Verweis auf die Staatsverschuldung soziale Leistungen wieder zurückgefahren werden", sagte der sozialethisch profilierte Theologe der in Essen erscheinenden "Neuen Ruhr/Neuen Rhein Zeitung".

Schneider argwöhnt zudem, "dass sich der Lobbyismus jetzt besser in der Politik verankert", um zu verhindern, dass die Verursacher der Finanzkrise an den Kosten für ihre Bewältigung beteiligt werden. "Dann wird die Krise am Ende durch Abbau des Sozialstaats bezahlt", kritisiert der oberste Repräsentant der knapp 2,9 Millionen rheinischen Protestanten, der auch dem Rat der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) angehört. Besorgt zeigte sich Schneider zudem über eine mögliche Aufkündigung des Atomkonsenses durch Union und FDP. Bei den Laufzeiten der Atomkraftwerke dürfe es "keine rückwärtsgewandte Politik" geben, mahnte er.

Ablehnend äußerte sich der rheinische Präses und Aufsichtsratsvorsitzende des Evangelischen Entwicklungsdienstes (EED) zu Plänen der FDP, das Entwicklungshilfeministerium dem Auswärtigen Amt zuzuschlagen. "Ich sehe die Entwicklungspolitik als eine eigenständige Aufgabe vor allem unter Gerechtigkeitsaspekten - und nicht vor dem Hintergrund außenpolitischer oder wirtschaftlicher Interessen", betonte er.

DIW taxiert Sparbedarf des Bundes auf 75 Milliarden Euro
Der Konsolidierungsbedarf des Bundes ist nach Berechnungen des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) nahezu doppelt so hoch wie vom Bundeskanzleramt angegeben. Der Leiter der Abteilung Staat beim DIW, Viktor Steiner, beziffere den einzusparenden Betrag bis 2013 auf mindestens 75 Milliarden Euro, berichtet die "Bild"-Zeitung (Dienstagausgabe). "Die vom Kanzleramt genannten 40 Milliarden Euro sind aus unserer Sicht zu niedrig."

Nach DIW-Schätzungen müssten Bund, Länder und Gemeinden bis 2016 jährlich 50 bis 75 Milliarden Euro einsparen, mehr als die Hälfte davon müsse der Bund leisten. "Dadurch ergibt sich allein in den Jahren 2011 bis 2013 für den Bund ein Spardruck von mindestens 75 Milliarden Euro", sagte Steiner. Das Bundeskanzleramt habe den Einsparbedarf der neuen Bundesregierung bis 2013 in einem internen Papier vergangene Woche auf rund 40 Milliarden Euro taxiert.

Schwarz-Gelb will "beglücken"
Acht Tage nach der Bundestagswahl trafen sich die künftigen Bündnispartner am Montag in der nordrhein-westfälischen Landesvertretung in Berlin. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU), FDP-Chef Guido Westerwelle und der CSU-Vorsitzende Horst Seehofer zeigten sich beim ersten Treffen zuversichtlich, ein "gutes Ergebnis" zu erreichen.

Merkel kündigte an: "Wir werden diese Koalitionsgespräche in guter Partnerschaft und großer Fairness miteinander führen." Trotz aller Unterschiede gelte der Wählerauftrag, gemeinsam für dieses Land vernünftige Politik zu machen. FDP-Chef Guido Westerwelle rechnete ebenfalls mit "fairen konstruktiven Gesprächen", bei denen ein "gutes gemeinsames Ergebnis" für Deutschland erreicht werde. Die Meinungsunterschiede bei einigen Themen bezeichnete er als "überbrückbar". CSU-Chef Horst Seehofer sagte, die Verhandlungen würden "im kollegialen, partnerschaftlichen Sinne" erfolgen. Er verwies darauf, dass er bereits 17 Jahre Koalition mit der FDP erlebt habe, davon 16 Jahre in Bonn und ein Jahr in München.

Einig zeigten sich die drei Parteien auch darin, den Koalitionsvertrag zügig, aber ohne Eile ausarbeiten zu wollen. Nach dreieinhalb Stunden lobten die Generalsekretäre von CDU, CSU und FDP in einer ersten, gemeinsamen Bilanz die gute Atmosphäre beim Auftakttreffen. CDU-Generalsekretär Ronald Pofalla sagte, allen Teilnehmern sei anzumerken, dass sie sich auf die neue Koalition freuten. Man habe sich auf zehn Facharbeitsgruppen verständigt. Union und FDP wollten einen Koalitionsvertrag ausarbeiten, der Deutschland in ein "gutes, neues Jahrzehnt" führe.

FDP-Generalsekretär Dirk Niebel sprach von einem sehr offenen und kollegialem Klima. Union und FDP wollten Deutschland "mit einem politischen Neuanfang beglücken". Auch bei den unterschiedlichen Punkten sei ein "großer Einigungswille" deutlich geworden. CSU-Generalsekretär Alexander Dobrindt unterstrich, Zügigkeit müsse bei den Gesprächen mit Gründlichkeit einhergehen. Der CSU-Politiker bezeichnete die Arbeitsatmosphäre des ersten Treffens als ausgezeichnet.

Atomkraftgegner demonstrieren
CDU, CSU und FDP stellen bei den Koalitionsgesprächen gleich starke Delegationen von jeweils neun Vertretern. Das schwarz-gelbe Bündnis soll nach dem Willen der Union möglichst bis zur konstituierenden Sitzung des neuen Bundestags am 27. Oktober besiegelt sein. Die FDP hält eine Einigung bis zum 9. November für realistisch. Am Dienstag sollen sich bereits die ersten Arbeitsgruppen treffen. Bundesbildungsministerin Annette Schavan (CDU) sagte, die wesentliche Arbeit müsse bereits in dieser Woche geleistet werden, damit Union und FDP zügig in großer Runde weiterverhandeln könnten. Am Donnerstag soll sich das 27-köpfige Gremium erneut treffen. Weitere Verhandlungen in diesem Kreis sind am 14. Oktober und am Wochenende vom 16. bis 18. Oktober vorgesehen.

In der vergangenen Woche hatten sich bereits die zentralen Streitpunkte zwischen CDU, CSU und FDP herausgestellt. Zwist gibt es vor allem in der Steuer-, Gesundheits-, Arbeitsmarkt und Innenpolitik. Unions-Fraktionschef Volker Kauder (CDU) gab sich vor Beginn der Verhandlungen jedoch optimistisch, dass Union und FDP bei jeder Verhandlungsrunde einen Schritt weiterkommen. Es werde leichter als vor vier mit Jahren mit der SPD, da es mit der FDP eine größere gemeinsame Schnittmenge gebe.

Mehrere hundert Atomkraftgegner demonstrierten in der Nähe des Verhandlungsorts gegen längere Laufzeiten von Atomkraftwerken. Vor der nordrhein-westfälischen Landesvertretung appellierten mehrere Personen mit einem Transparent an die FDP: "Bürgerrechte sind keine Verhandlungsmasse."