In Berlin tagt zum vierten Mal die Nationale Armutskonferenz

Armut ist auch Ausgrenzung

Auf die Koalitionsverhandlungen setzt Werner Franke wenig. "Unsere Forderungen werden wohl ohne Widerhall an denen vorbeigehen", meint der 67-Jährige und nickt skeptisch in Richtung Union und FDP, die an diesem Dienstag ihre Koalitionsverhandlungen fortsetzen. Auch Franke befasst sich mit den Zielen einer künftigen Regierung, aber genau auf der gegenüberliegenden Seite des Tiergartens. Hier, im Stadtteil Moabit tagt zum vierten Mal die Nationale Armutskonferenz.

Autor/in:
Christoph Scholz
 (DR)

Über hundert Menschen aus ganz Deutschland haben sich im großen Saal der Berliner Stadtmission eingefunden. Kein lichtdurchfluteter Konferenzraum wie bei den Koalitionären, sondern ein Mehrzwecksaal mit dem Charme der 70er Jahre. An der Stirnseite ein hölzernes Kreuz. Die meisten Teilnehmer eint ihre soziale Lage. "Es ist etwas anderes, über Armut zu reden, oder aus der Erfahrung der Armut heraus zu reden", weiß NAK-Sprecher Wolfgang Gern. Der evangelische Pfarrer und Chef des Diakonischen Werkes in Hessen und Nassau, entlässt deshalb die Politik aber nicht aus ihrer Verantwortung, wenn es etwa um die Neuberechnung des Existenzminimums von Kindern geht. Und auch seine Stellvertreterin, Michaela Hofmann vom Diözesancaritasverband Köln, mahnt die Koalitionsrunde, die Solidarität des Staates mit den Armen im Land nicht zu vergessen.

Der Ansatz der NAK unterscheidet sich dabei in einem wesentlichen Punkt von der Politik: Sie wollen die Betroffenen bei Entscheidungen mitreden lasse. Armut kann jeden treffen, das sieht der Besucher schon am äußeren Erscheinungsbild der Anwesenden: Vom Jeansträger mit Parka bis zum gepflegten Herren im Anzug ein Querschnitt der Gesellschaft. "Ich war immer im Mittelpunkt des Lebens - bis zum 'Abstieg'", sagt Petra Müller. Er begann für die kaufmännische Angestellte, als sie Beruf und Familie nicht mehr in Einklang brachte. Persönliche Trennung, Schwierigkeiten am Arbeitsplatz, Kündigung.

Seit 2006 sucht die alleinerziehende Mutter eines 9-jährigen Sohnes nach Arbeit. Jetzt fühlt sie sich als Mensch zweiter Klasse. Für die 51-jährige Frau aus Stadthagen bei Hannover bedeutet das vor allem Gängelung durch das Jobcenter. Um nach Berlin zu kommen, musste sie sich dort abmelden und bei der Rückkehr wieder zurückmelden. Sie sucht hier vor allem Erfahrungsaustausch, Solidarität.

"Menschen in Armut bedürfen der Solidarität des Staates"
Wie sehr Armut stigmatisieren und das Selbstwertgefühl verletzen kann, zeigen Zwischenrufe und Unmutsbekundungen bei der Versammlung. "Denen wäre es doch am liebsten wenn alle Armen sterben", ist zu hören. Es geht eben nicht nur um höhere Sozialleistungen oder Geldforderungen, sondern zuallererst um den Umgang der Gesellschaft mit Sozialhilfe- oder Hartz IV-Empfängern. Werner Franke hat die Erfahrung gemacht: "Menschen, die sich helfen lassen, wird geholfen". Der gelernte Techniker landete 2006 nach einer Krankheit und wegen Überschuldung auf der Straße. Inzwischen erhielt er eine Sozialwohnung und arbeitet heute in der Redaktion der Obdachlosenzeitung "Straßenfeger". Allerdings beklagt auch er, dass "die Wohlstandsschere immer weiter auseinanderklafft".

Die Konferenz ist für ihn vor allem eine Chance, "um die Menschen zu sensibilisieren". Für den NAK-Sprecher ist die Versammlung das Herzstück der Initiative, weil die Betroffenen selbst zu Wort kommen. Nur dies verleihe den Forderungen Glaubwürdigkeit. In den Arbeitsgruppen geht es um das Europäische Jahr zur Bekämpfung von Armut und sozialer Ausgrenzung 2010 und natürlich um die Erwartungen an die künftige Bundesregierung. "Menschen in Armut bedürfen der Solidarität des Staates und dürfen nicht auf Tafeln oder Suppenküchen angewiesen sein", unterstreicht Hofmann.

Gern betont aber zugleich, dass die ganze Gesellschaft gefordert ist. "Sie spricht viel von sozialer Integration, übt aber soziale Ausgrenzung". Der Kampf gegen Armut ist eben weit mehr als die Erhöhung von Sozialleistungen - auch das machen die Menschen mit Armutserfahrungen überdeutlich.