Erzbischof Zollitsch warnt vor sozialer Spaltung in Deutschland

Mehr als gute Ratschläge

Der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, Erzbischof Robert Zollitsch, hat vor sozialen Spaltungen in Deutschland gewarnt und die Parteien zu zügigem Handeln angesichts der Krise aufgerufen. Die Politiker sollten "Parteiinteressen und Machtpoker hintanstellen" und gemeinsam nach Lösungen suchen, sagte Zollitsch am Dienstagabend in Berlin beim traditionellen Sankt Michael-Jahresempfang der katholischen Kirche.

 (DR)

Die Politik dürfe die an den Rand Gedrängten und diejenigen, die keine Stimme hätten, nicht aus den Augen verlieren. Das gelte auch für die Folgen der Staatsverschuldung für die Generationengerechtigkeit.

Zollitsch zeigte tief besorgt über die geringe Wahlbeteiligung. Es müsse alles getan werden, «diesen Negativtrend umzukehren». Rund 18 Millionen Menschen hätten ihr Wahlrecht nicht genutzt. Demokratie lebe jedoch davon, dass die Bürger ihre demokratischen Rechte wahrnähmen. «Freiheit und Demokratie sind niemals selbstverständlich», mahnte der Freiburger Erzbischof und erinnerte an die Erfahrung der Unfreiheit im Nationalsozialismus und in der DDR.

Machtelite zu Gast
An dem Empfang nahmen neben Bundeskanzlerin Angela Merkel die Bundesminister Wolfgang Schäuble, Annette Schavan und Franz Josef Jung sowie Integrations-Staatsministerin Maria Böhmer (alle CDU) und einzelne Abgeordnete von FDP und Grünen teil. Der Leiter des Katholischen Büros bei der Bundesregierung, Prälat Karl Jüsten, begrüßte auch Bundestagspräsident Norbert Lammert und dessen Vize Wolfgang Thierse. Neben Alt-Bundespräsident Richard von Weizsäcker zählten auch der Apostolische Nuntius in Deutschland, Erzbischof Jean-Claude Perisset, Berlins Kardinal Georg Sterzinsky sowie zwei der vier Vizepräsidenten des Zentralkomitees der deutschen Katholiken (ZdK) zu den Gästen. Beim zehnten Empfang der katholischen Kirche in Berlin hielt erstmals Zollitsch den Hauptvortrag.

Der neuen Regierung ins Stammbuch geschrieben
Grundsätzlich warnte er dabei vor einem verkürzten Verständnis von Freiheit: Sie sei stets mit Verantwortung zusammen zu sehen. Noch nie sei die individuelle Freiheit größer als heute gewesen. Vielfach werde aber gar nicht mehr gefragt, welchem Zweck sie dienen und zu welchem Ziel sie führen solle. So gebe es heute «so etwas wie ein emanzipatorisches, aber innerlich entkerntes Freiheitsverständnis, das Freiheit als fortschreitende Befreiung von allen Traditionen, Autoritäten und Bindungen versteht», sagte er. Wer das hinterfrage, gelte schnell als rückschrittlich und unzeitgemäß.

Als Beispiel verwies Zollitsch auf die Novellierung des Stammzellgesetzes. Im Namen der Forschungsfreiheit werde «menschliches Leben zum Zellhaufen degradiert und so auch der Zerstörung» preisgegeben. Die Freiheit der Forschung gelange jedoch dort an ihre Grenzen, wo sie das menschliche Leben gering achte oder den Menschen als Ersatzteillager sehe.

Skeptisch äußerte sich der Bischofskonferenz-Vorsitzende zur «Wahlfreiheit» im Zusammenhang mit der Kinderbetreuung. Dabei gehe es häufig nur darum, «möglichst schnell eine Fremdbetreuung für die Kinder zu finden, um frei zu sein für die eigene Erwerbsbeteiligung». Notwendig sei aber, auch über das Wohl der Kinder zu sprechen. Defizite beim Freiheitsverständnis sieht Zollitsch auch bei der Liberalisierung der Ladenöffnungszeiten sowie der Verteidigung der Meinungsfreiheit und der künstlerischen Freiheit, wenn es an Rücksicht auf die Gefühle und Anschauungen anderer fehle.

Zollitsch ging auch auf die jüngeren Fälle brutaler Gewalt von Heranwachsenden ein. Sie erinnerten an die Bedeutung von Familie und Bildung bei der Gewissensbildung. «Im Kern geht es immer wieder um die Frage nach der Wertschätzung und Förderung von Ehe und Familie als Keimzelle einer friedlichen Gesellschaft», sagte er. Solche Vorfälle verwiesen darauf, welche Werte in Familie und Erziehung «geschätzt, gelebt, vermittelt und weitergegeben werden». Kinder und Jugendliche bräuchten ein verlässliches Netz tragender menschlicher Beziehung und wertgestützter Erziehung.