Der Intendant Willy Decker über das Thema Religion bei der Ruhrtriennale

"Positives Echo überraschte"

Die diesjährige Ruhrtriennale-Saison geht ins letzte Drittel. Im Interview zieht Intendant Willy Decker eine erste Zwischenbilanz über die am 11. Oktober endende Festivalsaison: Die Thematik sei überraschend auf ein positives Echo gestoßen, so der Opernregisseur.

Autor/in:
Andreas Otto
 (DR)

KNA: Herr Professor Decker, wie religiös sind Sie?
Decker: Die Antwort fällt mir schwer. Sie hängt davon ab, wie der Begriff Religion definiert wird.

KNA: Was verstehen Sie denn darunter?
Decker: Das lässt sich kaum in den uns geläufigen Begriffen sagen.
Religion stellt einen Raum dar, der sich mit der Alltagssprache kaum umschreiben lässt. Darin zeigt sich schon das Wesen von Religion.
Ich formuliere mal ganz vorsichtig: Wenn ich mit etwas in Berührung komme, was größer ist als ich selbst, dann spreche ich von Religion.

KNA: Von Gott wollen Sie nicht sprechen?
Decker: Das Wort Gott ist schon ein Problem. Diese personalisierte Form ist schon der erste Stolperstein - besonders wenn ich mit anderen Künstlern, Theologen oder Wissenschaftlern über Religion diskutiere. Mit dem Wort Gott kommt immer eine gewisse Form von Dualismus ins Spiel: Ich bin hier und da ist Gott. Dann wird Gott reduziert auf eine Form oder eine personalisierte Entität.

KNA: Was hat Sie denn gereizt, das Thema Religion für die Ruhrtriennale aufzugreifen?
Decker: Mein Ja zur Intendanz fiel zusammen mit meiner Entscheidung, mich mit der Beziehung zwischen Kunst und Religion näher zu befassen. Insofern war das Thema eigentlich schon in dem Moment da, als ich die Intendanz angenommen habe.

KNA: In diesem Jahr geht es um das Judentum. 2010 ist der Islam und ein Jahr später der Buddhismus an der Reihe. Wo bleibt da das Christentum?
Decker: Das hat einen banalen und einen tieferen Grund. Der banale ist, dass sich die Triennale - wie der Name schon sagt - nur auf drei Jahre beschränkt. Und ich wollte unbedingt zwei monotheistische Schwesterreligionen einer nicht theistischen Religion gegenüberstellen. Hätte ich vier Jahre, wäre das Christentum natürlich mit einer eigenen Festspielsaison dabei. Neben diesen eher pragmatischen Motiven spielt aber auch ganz wesentlich eine Rolle, dass wir andere Traditionen immer auf dem Boden der christlich-abendländlichen Kultur betrachten, in der wir einfach alle tief verwurzelt sind - ob als Theisten oder Atheisten.

KNA: Also ist das Christentum indirekt dabei?
Decker: Auf jeden Fall.

KNA: Sie selbst bezeichnen sich als Buddhist. Weil diese Religion keinen personalen Gott kennt?
Decker: Es ist nicht so, dass ich mir eine religiöse Tradition ohne Gottesbegriff gesucht habe. Vielmehr bin ich durch einen jahrelangen Prozess an ein vorläufiges Ende gekommen: eben beim Buddhismus.
Vielleicht habe ich immer dahin gestrebt, weil ich mit dem personalen Gottesbegriff Schwierigkeiten habe. Und weil ich gemerkt habe, wie sehr Religion Praxis ist und nicht Theorie.

KNA: Inwiefern?
Decker: Der Buddhismus ist ein extrem praktischer Weg, der mir Räume öffnet, in denen ich religiöse Erfahrungen wirklich machen kann - und nicht nur abstrakt oder formelhaft darüber rede. Das Zentrale ist die Zen-Meditation und bestimmte Methoden zwischen Meister und Schüler. Mein Thema, also die Beziehung zwischen Kunst und dem Impuls des Religiösen, ist aus der Erfahrung der Meditation entstanden. In dem meditativen Moment, den die buddhistischen Meister das "Denken am Grunde des Nichtdenkens" nennen, gehe ich in einen Raum, wo nicht nur das Religiöse als Impuls aufblitzt, sondern auch das Kreative. In diesem Augenblick entsteht eine Stille, eine Klarheit, eine Tiefe und eine Leere - aber eine Leere im positiven Sinne, aus der dann spontan Kreation oder auch Transzendentes auftaucht.

KNA: Das Verhältnis zwischen Christentum und zeitgenössischer Kunst ist nicht ganz spannungsfrei. Können Sie das erklären?
Decker: Vielleicht hängt das mit der Skepsis der etablierten Religionen gegenüber neuen Sehweisen zusammen. Vielleicht ist es die Schwierigkeit der institutionalisierten Religion, bestimmte Bilder oder Bildvorgaben freizugeben oder loszulassen. Da gibt es dann oft sehr enge Ikonografien - aber nicht nur im Christentum, auch anderswo. Und wo dann der Befreiungsschlag der Kunst aus bestimmten Bild-Klischees oft erst mal mit großer Skepsis gesehen wird.

KNA: Die diesjährige Ruhrtriennale-Saison geht ins letzte Drittel.
Sind Sie mit dem bisherigen Verlauf zufrieden?
Decker: Ja, das Echo auf unsere Produktionen ist extrem positiv.
Aber auch das Echo auf die Thematik. Das hat mich fast schon überrascht. Sowohl von Einzelpersönlichkeiten wie von der Presse kam eine fast nur positive und ermunternde Resonanz.

KNA: Haben Sie eine Erklärung, warum das Thema Religion so ankommt?
Decker: Da spielt Vieles hinein. In den zurückliegenden 50 bis 100 Jahren dominierte eine rein positivistische Wissenschaft. Dabei geriet die Entwicklung der menschlichen Seele aus dem Blick. Materialistische oder positivistische Weltanschauungen sind inzwischen an einem Endpunkt angelangt. Durch Utopien, die ohne Religion auskommen, sind die Menschen in ein Vakuum hineingeraten, wo Fragen der Seele sich plötzlich wieder in den Vordergrund drängen.