Bundesinnenminister a.D. wünscht sich ehrlicheren Wahlkampf

"Man sollte den Wählern nichts vormachen"

Der Wahlkampf befindet sich auf der Zielgeraden, die Parteien buhlen bis zuletzt um die Stimmen der noch immer Unentschlossenen. Auch mit Versprechungen. So wollen FDP und CSU die Steuern senken und gleichzeitig neue Milliarden ausgeben. "Problematisch", meint Gerhart Baum. Im domradio-Interview kritisiert der ehemalige Bundesinnenminister der FDP unrealistische Zusagen. Gleichzeitig gesteht er aber auch: "Ehrlicher waren Wahlkämpfe früher auch nicht."

 (DR)

domradio: Für wie ehrlich halten Sie den aktuellen Wahlkampf?
Baum: Er ist nicht ehrlicher, als es frühere Wahlkämpfe waren. Es ist immer so: Die Parteien kündigen etwas an, Vieles davon sind Versprechungen, die die Bürger bezahlen müssen. Nur ist die Lage diesmal wirklich dramatisch schwierig, es gibt nichts mehr zu verteilen. Im Gegenteil, der Staat ist hochverschuldet. Die Wählerinnen und Wähler stellen sich auf Einschränkungen ein - und ich wäre sehr erfreut, wenn das auch von den Politikern gesagt würde. Steuersenkungen sind ein Problem, was ich für richtig halte, sind Strukturveränderungen bei der Steuer, beispielsweise die Entlastung derjenigen, die durch die kalte Progression getroffen werden, die also etwas dazubekommen und dann in eine neue Progressionsstufe kommen und fast alles wieder abgeben müssen. Strukturveränderungen ja, ansonsten wird es sehr schwierig. Da sollte man sich nichts vormachen - und den Wählern auch nicht.

domradio: Steuersenkungen sind also nicht realistisch?
Baum: Nein, aber eine umfassende Strukturreform, in der dann auch Steuersenkungen enthalten sind, halte ich für möglich. Nicht unmittelbar jetzt, aber auf mittlere Sicht. Denn das Geld, das die Menschen haben, hat ja eine Wirkung auf die Volkswirtschaft und bringt auch wieder Geld in die Kassen.

domradio: Aus eigener Erfahrung: Meiden Politiker aus taktischen Beweggründen heraus negative Themen im Wahlkampf?
Baum: Ich habe manche TV-Sendung gesehen, da werden die Menschen mit Milliarden zugeschüttet! Selbst ich - und ich habe noch immer eine gewisse Nähe zur Politik - kann mir darunter nichts vorstellen. Die Politiker sollten jetzt den Menschen sagen: Es wird eine Durststrecke geben und da müssen wir gemeinsam durch. Im Übrigen sind es ja nicht die Politiker, die den Weg des Landes bestimmen, sondern wir alle, wir die Gesellschaft: wie wir uns jetzt einstellen. Ob wir mutig sind, ob wir kämpfen, ob wir wieder etwas wagen, ob wir bereit sind, uns einzuschränken, ob es wieder Maß gibt und nicht diese Unbescheidenheit, die doch viele zur Gier getrieben hat - das sind wir alle, wir müssen umdenken.

domradio: Sie glauben, wir Wähler können mit mehr Ehrlichkeit umgehen?
Baum: Immer schon. Ich habe immer wieder in meinem politischen Leben festgestellt: Viele Wahlversprechungen glauben die Wähler einfach nicht. Und daraus kann man den Schluss ziehen, man sollte ihnen doch weitgehend die Wahrheit sagen.