Bestseller-Autor Manfred Lütz kritisiert die "Körperwelten"-Ausstellung" als "skandalös"

"Ästhetischer Kannibalismus"

Seit Samstag ist Gunther von Hagens' "Körperwelten"-Ausstellung" in Köln zu Gast - neun Jahre nach dem ersten Gastspiel in der Domstadt. Umstritten ist die Schau wie eh und je. Bestseller-Autor und Theologe Manfred Lütz wirft dem Plastinator im domradio-Interview kalkulierten Tabu-Bruch vor.

 (DR)

domradio: Ist es nicht lehrreich, Menschen unter die Haut zu schauen und das Wunderwerk des menschlichen Körpers zu betrachten?
Lütz: Klar ist das lehrreich. Und das kann man ja auch machen. Man kann all solche Figuren auch in Plastik darstellen, das geht heute wunderbar - so könnte man ganz lehrreiche Ausstellungen machen. Aber ich fürchte, die würden nicht so besucht wie die von Gunther von Hagens.

domradio: Was ist der Unterschied?
Lütz: Der Unterschied ist, dass es originale Leichen sind. Und auch die Behauptung von Herrn von Hagens, er wolle Kunst machen, stimmt ja nicht. Das könnte man auch in Plastik ohne Weiteres machen. Er macht eigentlich Geschäfte mit dem Tabu-Bruch. Es gibt natürlich falsche Tabus, das ist klar. Die muss man auch brechen. Aber es gibt auch wichtige Tabus, die die Menschenwürde schützen. Und die Pietät Leichen gegenüber - so war es in alle Kulturkreisen immer üblich, es ist sogar so, dass Archäologen unterscheiden können, ob es sich um Menschen handelt oder "Vorformen des Menschen" daran, ob sie beerdigen. Wenn sie beerdigt haben, wenn sie also pietätvoll mit Leichen umgegangen sind, dann waren es Menschen. Wir scheinen jetzt soweit gegangen zu sein, dass wir uns inzwischen selbst konsumieren. Die Konsumgesellschaft greift zur letzten Möglichkeit des Konsums. Es ist im Grunde eine Form von ästhetischem Kannibalismus. Man konsumiert sich noch als Leiche als Mensch und senkt die humanitäre Temperatur in unserer Gesellschaft ab. Wenn das möglich ist, warum ist vieles andere nicht auch möglich? Das ist skandalös!

domradio: Wie kommt von Hagen überhaupt an seine Leichen?
Lütz: Herr von Hagens macht eine perverse Selbstdarstellerei. Und natürlich gibt es auch andere Menschen, die gerne sich in irgendeiner Form exhibieren, sogar noch als Leiche. Und das finde ich problematisch - diesen Menschen über solche Ausstellungen noch eine Bühne zu bieten.

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