Der Leipziger Pfarrer Führer und die friedliche Revolution

Gebete machen Geschichte

Der evangelische Pfarrer Christian Führer Geschichte geschrieben. Untrennbar ist sein Name mit der Leipziger Nikolaikirche verbunden. Von dort gingen die Friedensgebete und Montagsdemonstrationen in der DDR aus, die vor 20 Jahren mit zur friedlichen Revolution führten. Seit einem Jahr ist der 66-Jährige im Ruhestand. Trotzdem mischt er sich nach wie vor gerne ein, wenn ihm gesellschaftspolitisch etwas gegen den Strich geht.

Autor/in:
Birgit Wilke
 (DR)

Es sei ein unglaublicher Segen, den Gott «diesem kleinen Senfkorn Friedensgebet» habe zukommen lassen, meint Führer rückblickend. Und unglaublich sei auch, dass die regelmäßigen Andachten zum Sturz der SED-Regierung beitrugen. Entstanden waren die Montagsgebete aus der kirchlichen Friedensarbeit zu Beginn der 80er Jahre. Zu den Treffen kamen zunächst nicht viel mehr als zehn Interessierte. Was aus der Initiative werden sollte, ahnte damals niemand. Doch der gebürtige Leipziger, der zu diesem Zeitpunkt gerade in seine Heimatstadt zurückgekehrt war, machte aus der Nikolaikirche schnell einen Anlaufpunkt für systemkritische Basisgruppen.

Außer den Friedensgebeten gegen das Wettrüsten in Ost und West organisierte Führer 1987 einen Gesprächskreis «Hoffnung für Ausreisewillige». Ein Jahr später moderierte er Fürbittandachten für die Menschen, die bei einer Gedenkveranstaltung für die Kommunisten Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg in Berlin verhaftet worden waren.
Bereits Mitte der 80er Jahre ließ er Schilder mit der Aufschrift «Nikolaikirche - offen für alle» anbringen.

1989 wurde das Gotteshaus dann vermutlich «der bestbewachte Ort der DDR», so Führer. Seit Mai jenen Jahres übte die SED Druck aus, um die Gebete und die sich anschließenden Demonstrationen zu verhindern. So wurden Zufahrtsstraßen kontrolliert, «Verdächtige» abgeführt. Immer wieder hatten die Beteiligten Angst «vor einer chinesischen Lösung», erinnert sich Führer in Anspielung auf das Massaker auf dem Pekinger «Platz des Himmlischen Friedens» wenige Monate zuvor. Doch anders als in China blieb in der DDR eine bewaffnete Eskalation aus. So protestierten nach den Friedensgebeten schließlich im Herbst bis zu 70.000 Menschen friedlich in den Straßen der Stadt.

Führer betont, dass auch viele Katholiken die Montagsgebete unterstützt hätten, sogar Ordensleute hätten sich den Demonstrationen angeschlossen. Ab Oktober habe zudem auch die katholische Propsteigemeinde ihre Tür für die Friedensgebete geöffnet. Die Tradition der Montagstreffen behielt Führer auch nach dem Zusammenbruch der DDR bei. Immer wieder prangerte er als Pfarrer der Nikolaikirche Missstände an: seien es die steigenden Arbeitslosenzahlen oder die Folgen von Hartz IV. Auch gegen den Irak-Krieg protestierte er mit den Gebeten. Zum Ort der Hoffnung nicht nur für Christen wurde seine Kirche erneut vor drei Jahren, als die Menschen dort für die im Irak verschleppten Leipziger Ingenieure beteten - die wenig später freikamen.

Zu dem umtriebigen Theologen passt es, dass er unlängst mit der Forderung nach einem Einheitsdenkmal in Leipzig von sich reden machte. Die friedliche Revolution sei ein einmaliger historischer Vorgang, so der Pfarrer. Und Leipzig komme dabei eine ganz entscheidende Bedeutung zu. Zu seinem Leidwesen ist eine endgültige Entscheidung über das Projekt bislang noch nicht gefallen.

Dessen ungeachtet bleibt für den unkonventionellen Kirchenmann, der die Jeansjacke auch bei offiziellen Auftritten zu seinem Markenzeichen machte, genug zu tun. 20 Jahre nach dem Mauerfall engagiert sich Führer weiter im Förderverein der Nikolaikirche; er arbeitet an einer bundesweiten Vernetzung der Friedensgebets-Initiativen, zudem hat er ein Buch über die damaligen Ereignisse geschrieben. Und die Besucher des Leipziger Gotteshauses können ihn weiter bei den Montagsgebeten erleben - in der Regel allerdings als «ganz normalen» Teilnehmer.

Hinweis: Christian Führer, «Und wir sind dabei gewesen. Die Revolution, die aus der Kirche kam», 324 Seiten, Ullstein-Verlag, 19,90 Euro.