Vor allen Dingen ältere Menschen denken an Suizid

Letzter Ausweg Selbstmord?

In Deutschland scheiden jedes Jahr mehrere tausend ältere Menschen freiwillig aus dem Leben. Von den 9.402 Personen, die im Jahr 2007 Suizid verübten, waren 42 Prozent älter als 60 Jahre. Männer gingen diesen Schritt doppelt so häufig wie Frauen. Über die Dunkelziffer lässt sich nur spekulieren. Heute ist der Welttag der Suizid-Vorbeugung.

Autor/in:
Christoph Arens
 (DR)

«Mir geht es sehr schlecht. Ich habe versucht, mir das Leben zu nehmen. Ich brauche dringend Hilfe! Liebe Grüße, darkgirl.» Stephanie ist geschult, auf solche E-Mails zu antworten. Sofort schreibt sie zurück: «Hallo Lebensmüde! Ich finde es gut, dass du den Mut aufgebracht hast, dich an uns zu wenden.»

Stephanie nimmt sich danach für ihre Antwort viel Zeit. Zu viel hängt davon ab - oft ein junges Menschenleben. Manchmal hört der E-Mail-Kontakt sofort wieder auf; mit anderen Hilfesuchenden bleibt Stephanie über Monate im Kontakt. Das macht die 18-Jährige freiwillig. Sie versucht, lebensmüden Jugendlichen über das Internet zu helfen.

Selbstmorde stehen bei Jugendlichen an zweiter Stelle der Todesursachen. Über die klassischen Beratungsangebote werden nur wenige junge Menschen erreicht. Deshalb hat der kirchliche Arbeitskreis Leben (AKL) in Freiburg 2003 eine E-Mail-Beratung aufgebaut. «U25» ist ein suizidpräventives Projekt für junge Menschen unter 25 Jahren vor oder nach einem Selbstmordversuch. Auf einer Internetseite finden Jugendliche Hilfen in Krisensituationen.

Zahl der Selbstmorde ist rückläufig
Die Zahl der Suizidtoten in Deutschland ist seit Ende der 1970er Jahre fast durchgängig rückläufig. Gegenüber 1980, als 18.451 Menschen durch eigene Hand aus dem Leben schieden, hat sich die Zahl der Fälle fast halbiert. 2007 nahmen sich 9.402 Personen das Leben - immer noch fast doppelt so viele Menschen, wie durch Verkehrsunfälle sterben. Experten von der Initiative Nationales Suizidprogramm für Deutschland (NaSPro) erwarten außerdem, dass die gegenwärtige Wirtschafts- und Finanzkrise und die steigende Zahl der Firmenpleiten die Rate wieder nach oben treiben könnten. Ihr Vorsitzender, der Würzburger Psychologe Armin Schmidkte, forderte deshalb zum Welt-Suizid-Präventionstag am Donnerstag ein stärkeres Engagement für gefährdete Gruppen.

Als auffällig für Deutschland bezeichnet Schmidtke die gestiegene Quote von Selbsttötungen bei älteren Frauen. «Viele haben Angst vor Einsamkeit, Hilflosigkeit und entwürdigender Behandlung in Altersheimen», kritisiert der Arzt.

Ältere Menschen betroffen
Auch die Deutsche Hospiz Stiftung verweist auf eine wachsende Gefährdung alter Menschen: «Unter den 10.000 Menschen, die sich in Deutschland jedes Jahr selbst töten, sind überproportional viele Senioren», sagt der Vorstand der in Dortmund ansässigen Patientenschutzorganisation, Eugen Brysch, am Mittwoch. Die Situation spitze sich von Jahr zu Jahr zu, doch werde nichts dagegen unternommen. Laut Stiftung sind 20 Prozent der Deutschen über 65 Jahre alt. Ihr Anteil unter den Suizidfällen betrage aber 36 Prozent.

Auch Brysch verweist auf die Angst vor Pflegebedürftigkeit und Abhängigkeit im Alter. Viele alte Menschen fürchteten sich vor «einer Pflege, die auf ihre individuellen Bedürfnisse nicht eingehen kann», sagte er. Er forderte die Politik auf, Voraussetzungen für ein die Würde wahrendes Pflegesystem zu schaffen, auch um Tendenzen zur Legalisierung der Beihilfe zur Selbsttötung einen Riegel vorzuschieben.

Die Hannoveraner Kriminologin Christine Swientek sieht einen Zusammenhang zwischen der hohen Selbstmordrate alter Menschen und dem Bild, das die Gesellschaft vom Alter hat. «Sie sind alt, behindert, nutzlos, unansehnlich. Sie machen Arbeit, sind senil, unheilbar krank. Sie sind überflüssig - warum also sollten sie die Gesellschaft noch belasten?» so fragt sie provozierend in ihrem Buch «Letzter Ausweg Selbstmord. Was alte Menschen in den Tod treibt».

Dass die Zahl der Selbsttötungen beeinflussbar ist, haben die vergangenen Jahre gezeigt. Die Ursache für die Halbierung der Zahlen sieht Schmidtke in einer verbesserten Aufklärung von Ärzten, Pflegern und Betreuern. Sie könnten Depressionen als Hauptursache für Suizide leichter erkennen und besser behandeln. Ärzte verschrieben zudem mehr Antidepressiva als früher; auch steige die Bereitschaft der Deutschen, sich in Notlagen Hilfe von Psychotherapeuten zu holen. Außerdem seien psychiatrische Einrichtungen heute nicht mehr so stigmatisiert.