Festakt in Bonn zu 60 Jahre Bundestag

Eher ernst als heiter

Mit einem Festakt in Bonn haben der Bundestag und die Spitzenvertreter der Verfassungsorgane an das Zusammentreten des ersten Bundestags vor 60 Jahren erinnert. Bundestagspräsident Norbert Lammert rief die Bürger auf, politischen Streit und "zähe Entscheidungsprozesse" auszuhalten. Demokratie sei kein Verfahren zur Vermeidung von Streit, sondern "zur Herbeiführung mehrheitlich getragener Lösungen". Angesicht aktueller Probleme war die Stimmung in Bonn eher betrübt.

 (DR)

Aufmerksam verfolgten Rita Süssmuth und Philipp Jenninger den Ausführungen von Bundestagspräsident Norbert Lammert (alle CDU). Lammerts Amtsvorgänger Süssmuth und Jenninger gehörten zu den rund 1000 Gästen, die am Montag in Bonn bei einer Feierstunde im ehemaligen Plenarsaal des Bundestags, dem heutigen World Conference Center, an die Gründung des Parlaments vor exakt 60 Jahren teilnahmen. Doch Feierstimmung wollte nicht aufkommen, viele der ehemaligen und heutigen Abgeordneten wirkten eher ernst als heiter. In Deutschland herrscht Wahlkampf, und ein Luftangriff im Raum Kundus hat eine neue Debatte über den Afghanistan-Einsatz der Deutschen ausgelöst.

Erinnerung an "Trizonesien"
Nach der Begrüßung durch Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU) las der Schauspieler Wolfram Koch ein Kapitel aus dem Buch «Das Treibhaus» von Wolfgang Koeppen, das die Arbeit des fiktiven Bundestagsabgeordneten Felix Keetenheuve beschreibt, der so manches Mal mit dem Parlamentarismus und seiner Rolle hadert. Ein Jazzmedley des Quartetts Julian und Roman Wasserfuhr erinnerte an den spöttischen Namen «Trizonesien», mit dem Zeitgenossen die drei ehemaligen westlichen Besatzungszonen früher bedachten.

Gelächter erntete Lammert vor allem, als er in seiner Rede einen Abgeordneten der ersten Stunde zitierte, der bei einem Kollegen wohnte. «Wir waren sehr behelfsmäßig untergebracht. Wenn seine Frau zu Besuch kam, konnte ich frühmorgens das Badezimmer nicht benutzen, weil sie darin schlief», beschrieb er die damalige Situation. Die Anfänge des parlamentarischen Alltags seien beschwerlich gewesen, unterstrich Lammert. Von einer «wonderful world» habe man damals allenfalls träumen können.

Dennoch habe sich der Bundestag zu dem zentralen Ort der politischen Entscheidungsfindung entwickelt, betonte Lammert und erinnerte auch an die politischen Entscheidungen seit der konstituierenden Sitzung, darunter die außenpolitischen Weichenstellungen der ersten Jahre und an die Sozialgesetzgebung der 50er Jahre. Im 20. Jahr des Mauerfalls würdigte Lammert insbesondere auch den Beitrag des Parlaments zur Wiederherstellung der Deutschen Einheit.

Beispiellose Erfolgsgeschichte
410 Abgeordnete gehörten dem ersten Bundestag an, darunter gerade einmal 28 Frauen. Erster Redner war Alterspräsident Paul Löbe (SPD), nach dem eines der Parlamentsgebäude heute in Berlin benannt ist. Der 73-jährige einstige Präsident des Reichstages sprach damals ein Wort des Gedenkens an die Opfer der NS-Herrschaft. Auch gedachte er der Toten des Zweiten Weltkriegs. Für Befremden unter den anwesenden Gesandten der Besatzungsmächte sorgte damals, dass die SPD unerwartet einen Antrag zur alliierten Demontagepolitik einbrachte.

1949 habe kaum jemand die Erfolgsgeschichte für möglich gehalten, auf die Deutschland heute zurückblicken könne, sagte Lammert. Mit dem Inkrafttreten des Grundgesetzes und mit dem neu begründeten System einer parlamentarischen Demokratie habe «eine beispiellose Zeit des Friedens, der Freiheit und des wirtschaftlichen Aufschwungs und Wohlstands» begonnen. In 24 258 Sitzungsstunden haben die Abgeordneten in den vergangenen 16 Wahlperioden 7031 Gesetze auf den Weg gebracht.

Lammert ging in seiner Rede aber auch auf den wachsenden Unmut in der Bevölkerung gegenüber der Politik ein. «Was viele Bürgerinnen und Bürger an der Politik ganz offenkundig stört, sind politischer Streit und zähe Entscheidungsprozesse», sagte Lammert. Beides müssten Wähler und Gewählte allerdings aushalten. Streit müsse sein, sagte Lammert und rief zur Stimmabgabe bei der Bundestagswahl am 27. September auf.