Köln: Erstes Denkmal für Deserteure und Opfer der NS-Militärjustiz

Ein Denkmal, das endlich sein darf

Auf dem Appellhofplatz in Köln wird heute ein Denkmal für Deserteure und Opfer der NS-Militärjustiz eingeweiht. Es soll an die Soldaten erinnern, die sich dem Krieg verweigerten und deshalb zum Tode verurteilt wurden. Zudem ist es den Kriegsgegnern gewidmet, die Opfer der NS-Sonderjustiz wurden. Der Entwurf für das Denkmal, das einer Pergola ähnelt, stammt von dem Künstler Ruedi Baur.

Autor/in:
Michael Borgers
Appellhofplatz in Köln: Symbolträchtiger Standort am Gerichtshof für das neue Denkmal (DR)
Appellhofplatz in Köln: Symbolträchtiger Standort am Gerichtshof für das neue Denkmal / ( DR )

Der Appellhofplatz im Herzen Kölns, nur wenige Geh-Minuten vom Dom entfernt. Autofahrer sind auf dem Weg zu Parkhäusern der Innenstadt, Lastwagen beliefern die Geschäfte der Haupteinkaufsstraßen. Die rot-weißen Absperrungen vor dem Verwaltungsgericht fallen den Wenigsten auf, Baustellen gibt es viele. Karola Fings ist auf dem Weg zur Arbeit, zum NS-Dokumentationszentrum auf der gegenüberliegenden Straßenseite. In dem so genannten EL-DE Haus folterte zur Nazi-Zeit die Gestapo: darunter Männer, die sich dem Krieg verweigerten. Und die anschließend in den Mauern des heutigen Verwaltungsgerichts zum Tode verurteilt wurden.

Wo jetzt noch Absperrungen aufgebaut sind, entsteht ein Denkmal für die Deserteure des Zweiten Weltkrieges. „Sehr leichte, in Form einer Pergula, drei Meter hoch, acht Meter breit", beschreibt die Konstruktion. Was Karola Fings als leicht beschreibt, hat einen schweren Hintergrund. Nach Ende des Zweiten Weltkrieges wurden Deserteure in der Bundesrepublik beschimpft und geächtet Ein Umdenken habe erst stattgefunden, nachdem die Verbrechen der Wehrmacht erforscht wurden. „Als klar wurde: Das war eben nicht die saubere Vereinigung von Helden, die quasi völlig naiv für Deutschland in den Krieg gezogen ist und erst nach '45 gemerkt hat, dass sie von Hitler verführt und fehlgeleitet worden sind", sagt die Historikerin, die Denkmal-Projekt von Anfang betreut hat.

Desertation beendet oder prägt Leben
Gut 300 Kilometer nördlich im Bremer Stadtteil Vegesack. Ludwig Baumann sitzt in seiner Dreizimmer-Wohnung, aus der er bald ausziehen muss. Die Häuser seiner Siedlung sollen modernen Energiespargebäuden weichen. Dem 88-jährigen graut vor dem Umzug: Zwischen Fernseher und Stehlampe lagern dutzende Ordner und Akten, hunderte Video-Kassetten und Zeitungsartikel. Ludwig Baumann ist Vorsitzender der „Bundesvereinigung Opfer der NS-Militärjustiz", seine Wohnung Vereinssitz. Im Frühjahr 1942 trifft er den Entschluss, der sein ganzes späteres Leben prägen soll. Gemeinsam mit einem Freund, Kurt Oldenburg, will der 20-jährige Soldat den Krieg hinter sich lassen und in die USA fliehen. Die beiden werden gefasst - und verurteilt.

Ludwig Baumann sitzt zehn Monate lang in der Todeszelle, gefesselt an Händen und Füßen. Jeden Morgen rechnet er damit, zur Hinrichtung abgeholt zu werden. „Es war so ein Grauen. Es verfolgt mich auch heute noch." Ludwig Baumann überlebt. Kurt Oldenburg stirbt später beim „Bewährungseinsatz" in Russland. Bis heute steht ein Portraitbild des Freundes in seiner Wohnung.

Leben in Schande
Baumann überlebt, doch durch Leben schlägt er sich in den nächsten drei Jahrzehnten mehr schlecht als recht. Nach Ende des Zweiten Weltkrieges macht er seine Geschichte öffentlich. Er hofft, mit ihr akzeptiert zu werden, wünscht sich, dass sein Tun anerkannt wird. Doch das Gegenteil ist der Fall. „Wir wurden nur als Feiglinge, Kriminelle, Verräter beschimpft und bedroht." Daran sei er zugrunde gegangen. Er und seine Familie.

Der eigene Vater stirbt 1947. Er habe die Schande nicht ertragen können, sagt Ludwig Baumann ernst. Selber versucht er, als Handelsvertreter und Familienvater eine bürgerliche Fassade zu wahren. Gleichzeitig flüchtet er immer mehr in den Alkohol, vertrinkt sein gesamtes Erbe. Erst als seine Frau bei der Geburt des sechsten Kindes stirbt, habe er Verantwortung übernommen. Für sein Leben und das seiner Kinder.

Er engagiert sich in der Friedensbewegung - und ahnt langsam, dass er nicht alleine ist. 1990 gründet er die Bundesvereinigung, 37 Männer kommen zum ersten Treffen. Die meisten werden begleitet. „ Weil die auch alle kaputt waren. Wenn man so kriminalisiert wird, wenn man keine Würde hat, dann kann auch nicht richtig leben." Ohne Würde kann man nicht leben, wiederholt er noch mal. Die einst isolierten und gebrochenen Männer kämpfen nun gemeinsam um ihre Würde: vor Gericht, in den Medien, in Berlin. Lange Zeit vergeblich.

Die Geschichte der Deserteure hat immer auch mit heute zu tun
Immer wieder stoßen sie auf Ablehnung in der Politik. Zunächst bei CDU und CSU, später auch bei der SPD. Ludwig Baumann erinnert sich an die Begründungen. „Es wurde ja im Bundestag immer behauptet: wir können nicht rehabilitiert werden, weil damit alle Soldaten der Wehrmacht ins Unrecht gesetzt werden, also 18 Millionen Menschen." Außerdem habe die Geschichte der Deserteure auch immer mit heute zu tun. Der Kampfauftrag und die Moral der Bundeswehr würden untergraben, hieß es lange.

Erst 2002 beschließt der Bundestag die Aufhebung aller NS-Urteile zur Desertation. Die Urteile gegen Kriegsverräter dagegen haben weiterhin Bestand. Solange nicht auch sie rehabilitiert sind, will der vitale 88-jährige weiterkämpfen. Erfolge wie das Kölner Denkmal spornen ihn weiter an. „Es ist ja das erste Denkmal, das von einer Stadt finanziert wird - mir geht damit ein später Traum in Erfüllung." Bei der Einweihung will Ludwig Baumann dabei sein. In der Jury entschied er mit über den Entwurf. Er wird aber alleine nach Köln reisen. Der Vorsitzende ist der letzte Überlebende seiner Bundesvereinigung.