Kapuzinermönch Bruder Paulus Terwitte über die Scheingefechte im Bundestagswahlkampf

"Nicht das Gehirn vernebeln lassen"

Eine umstrittene Dienstwagennutzung, ein gekaufter Gesetzesvorschlag und ein Abendessen im Kanzleramt. Das sind die Themen, die vor der Wahl die Schlagzeilen bestimmen. Kapuzinermönch Bruder Paulus Terwitte warnt im domradio-Interview: "Wir sollten uns von diesem Kleinkram nicht das Gehirn vernebeln lassen." Die wirklich wichtigen Themen seien ganz andere.

 (DR)

domradio: Sind Politiker - welcher Partei auch immer - besonders anfällig dafür, korrupt zu sein?
Bruder Paulus: Ich würde das nicht unter korrupt verbuchen. Da werden Dinge hoch gekocht in den Wahlkampfzeiten, die beim Bürger ankommen. Die wirklichen gesellschaftlichen Probleme liegen auf einer ganz anderen Ebene. Aber die Politiker haben sich halt auf den Boulevard gewagt und haben alles mögliche beim "kleinen Mann" mitmachen wollen und da muss man sich nicht wundern, wenn man von der Straße mit Schmutz beworfen wird.

domradio: Dienstwagennutzung, ein Auftrag für einen Gesetzentwurf für eine private Kanzlei, ein Abendessen im Kanzleramt. Sind das also nicht die wirklich wichtigen Themen für Deutschland?
Bruder Paulus: Man kann sich natürlich fragen, ob es eine gewisse Bedienmentalität gibt. Aber ich war gerade in Albanien und kann sagen, dass wir dagegen hier goldene Zustände haben. Ich glaube, dass wir eine gewisse Achtsamkeit haben für den rechtlichen Rahmen. Man ist halt jetzt besonders sensibel für das, was sich Politiker und Wirtschaftsmenschen alles leisten und nicht leisten. Aber die wirkliche Frage ist doch, wie wir mit den demographischen Entwicklungen umgehen in unserer Gesellschaft. Wie wir damit umgehen, dass wir weltwirtschaftlich verbunden sind, wie wir Industrien, die sich schwer tun sich umzubauen, mehr fördern können, damit immer weniger auf staatliche Notfallpläne angewiesen sind.

domradio: Warum werden solche Nebenschauplätze so hoch gespielt?
Bruder Paulus: Weil es Dinge sind, die jeder Bürger von sich selber auch kennt. Wer war nicht schon einmal versucht, über die Stränge zu schlagen und wer hat nicht schon einmal versucht, unentdeckt das Maximale aus etwas herauszuholen. Das sind ja ganz normale menschliche Regungen und wir sind als Menschen natürlich eingeladen, unserer Grenzen selber zu setzen und zu sagen: „Ich mache es nicht, obwohl ich es vielleicht dürfte, obwohl es vielleicht noch so gerade legal wäre." Letztlich begehen wir alle solche Kavaliersdelikte, für die nun auf die Politiker mit dem Finger gezeigt wird. Suchen wir nicht alle z.B. bei der Steuererklärung die Schlupflöcher und klopfen wir uns nicht alle auf die Schultern, wenn man mal wieder jemandem ein kleines Schnippchen geschlagen hat?

Wir sind natürlich sehr aufmerksam, wenn sich manche Leute wie Heilige aufführen. Und da ist es für viele Menschen auch wichtig zu erfahren, dass auch die Politiker anfällig für das "Allzumenschliche" sind. Wir hätten von Frau Schmidt viel lieber ein Schuldgeständnis gehört, als diese ganzen Beteuerungen.

Aber wir sollten aufpassen, dass wir uns von diesem Kleinkram nicht das Gehirn vernebeln lassen. Wir sollten aufmerksam sein für das, was die Politiker wirklich zu sagen haben, ändern und anpacken wollen.

domradio: Hat die vielbeklagte Politikverdrossenheit nicht auch damit zu tun, dass der Eindruck entsteht, hier würden Scheingefechte geführt?
Bruder Paulus: Da dürfen sich auch die Medien nicht die Themen diktieren lassen von den Politikern. Es braucht einen aufmerksamen Journalismus. Auf der anderen Seite wissen wir auch, dass die Quote drückt, und da sind die boulevardesken Themen eben doch leichter zu positionieren. Da braucht es neben der Ethik der Politiker auch eine Ethik der Journalisten. Und natürlich muss der Konsument aufhören, immer nur nach irgendwelchen schmutzigen Themen zu suchen, sondern auch einmal bereit erklären, mehr als zwei Sätze zu lesen.