Afghanistan hat gewählt - Größere Terroranschläge blieben am Wahltag aus

Tag der Entscheidung

In Afghanistan haben am Donnerstag Millionen Bürger trotz Angriffen und Drohungen ihre Stimme bei der Präsidentenwahl abgegeben. Die Afghanen hätten "Raketen, Bomben und Einschüchterungsversuchen getrotzt", sagte Präsident Hamid Karsai in einer Fernsehrede. Er stellte sich nach sieben Jahren im Amt zur Wiederwahl. Karsai sprach von 73 Anschlägen am Wahltag. Größere Terroranschläge blieben bislang aus.

 (DR)

Die afghanische Nachrichtenagentur PAN berichtete von elf Toten, darunter sechs Mädchen.  In den Tagen davor hatten die radikal-islamischen Taliban ihre Angriffe aber verstärkt. Die Aufständischen riefen zum Wahlboykott auf und warnten vor der Stimmabgabe.

NATO-Generalsekretär Anders Fogh Rasmussen bezeichnete die Wahl als glaubwürdig. Sie reflektiere den Willen der Afghanen. Berichten zufolge soll die Wahlbeteiligung aber besonders im Süden sehr niedrig gewesen sein. Wegen der Sicherheitslage konnten nicht alle der fast 7.000 Wahllokale öffnen. Der EU-Wahlbeobachter Harald Händel äußerte die Hoffnung, dass die Wahlbeteiligung trotzdem wie vor fünf Jahren wieder 70 Prozent erreicht. Beobachter in Kabul bezweifeln dies aber.

Eine geringe Wahlbeteiligung im Süden könnte vor allem Karsai schaden, der dort seine Hochburg hat. Differenzen zwischen der Bevölkerung im Süden und im Norden Afghanistans könnten neu aufbrechen. Aus dem Süden kamen Berichte, wonach leere Wahlurnen mit Stimmzetteln für Karsai gefüllt wurden.

Zu der zweiten Direktwahl eines Präsidenten in der Geschichte Afghanistans waren 17 Millionen Bürger aufgerufen. Karsai ging als Favorit in die Wahl. Insgesamt bewarben sich 31 Kandidaten. In Kandahar, Kundus und anderen Orten schlugen schon am Morgen kleinere Raketen ein. In der Hauptstadt Kabul gab es Berichten zufolge Schusswechsel zwischen der Polizei und mutmaßlichen Terroristen. Zwei Selbstmordattentäter sollen dabei getötet worden sein.

Die Taliban hatten am Mittwoch behauptet, sie hätten 20 Attentäter nach Kabul geschickt. Geschäfte und Läden blieben geschlossen. Die Straßen der Hauptstadt waren fast leer. Rund 300.000 afghanische und internationale Sicherheitskräfte waren im Einsatz. Eine Gruppe von Journalisten wurde nach Angaben des britischen Senders BBC kurzzeitig festgenommen, weil sie entgegen dem Willen der Regierung über Anschläge am Wahltag berichtete. Die Regierung hatte erklärt, dies könnte Wähler abschrecken.

Präsident Karsai gehört zur Mehrheitsvolksgruppe der Paschtunen. Er verlor allerdings stark an Rückhalt in der Bevölkerung. Es wird erwartet, dass er im ersten Wahlgang die absolute Mehrheit verfehlt hat und sich im Oktober einer Stichwahl stellen muss. Stärkster Konkurrent ist der frühere Außenminister und Augenarzt Abdullah Abdullah.

Chancen werden auch Aschraf Ghani eingeräumt. Der promovierte Wirtschaftswissenschaftler und frühere Finanzminister arbeitete elf Jahre bei der Weltbank. Ein vorläufiges Wahlergebnis wird für den 3. September erwartet, das endgültige Resultat für den 17. September. Neben dem Staatspräsidenten wurden am Donnerstag auch die 420 Mandate in den Provinzräten bestimmt.

Amnesty International appellierte an die künftige afghanische Führung, die Menschenrechte endlich zu verwirklichen. «Die Polizei ist korrupt, ist in organisierte Verbrechen verwickelt, die Justiz funktioniert nicht und es gibt auch massive Einschränkungen bei der Pressefreiheit», sagte die deutsche Amnesty-Generalsekretärin Monika Lüke im WDR.  Bundesverteidigungsminister Franz Josef Jung (CDU) und Außenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) halten einen Abzug der Bundeswehr innerhalb von zehn Jahren für realistisch.