Neue Gewalt vor Präsidentenwahl in Afghanistan

Wählen lebensgefährlich

Überschattet von Gewalt und Drohungen wird an diesem Donnerstag in Afghanistan ein neuer Präsident gewählt. Klarer Favorit ist Amtsinhaber Hamid Karsai. Gegen ihn treten 30 weitere Kandidaten an. Die radikal-islamischen Taliban riefen zum Boykott auf und drohten mit Angriffen auf Wahllokale. Stimmberechtigt sind fast 17 Millionen Bürger.

 (DR)

Die zweite direkte Präsidentenwahl in der Geschichte Afghanistans steht unter strengsten Sicherheitsvorkehrungen. Auch am Mittwoch riss die Welle der Gewalt nicht ab. Sicherheitskräfte erschossen nach Angaben der Behörden in der Hauptstadt Kabul drei Männer, die eine Bank nahe dem Präsidentenpalast überfielen. Ob es sich um Terroristen oder Bankräuber handelte, blieb zunächst unklar. Am Dienstag hatten Taliban-Kämpfer Raketen ins Zentrum von Kabul geschossen und einen NATO-Konvoi in die Luft gesprengt. Mindestens zehn Menschen wurden dabei getötet.

Wegen der Drohungen von Extremisten ist unklar, wie viele Menschen überhaupt zur Wahl gehen werden. UN-Generalsekretär Ban Ki Moon rief die Bürger zur Teilnahme auf. Mit ihren Stimmen trügen die Menschen dazu bei, die demokratischen Institutionen zu stärken und frische Kraft in das politische Leben Afghanistans zu bringen, betonte Ban.
Der frühere UN-Beauftragte für Afghanistan, Tom Koenigs, hob die Bedeutung des Urnengangs hervor. «Die Wahl in Afghanistan darf nicht ein Erfolg der Waffen, sondern er muss ein Erfolg der Demokratie sein», sagte er dem Radiosender MDR info. Der Grünen-Politiker äußerte die Erwartung, dass mehr als 80 Prozent der Wahllokale funktionieren.

Der EU-Wahlbeobachter und Direktor des Berliner Orient-Instituts, Gunter Mulack, sieht die Legitimität der neuen afghanischen Führung bei einer geringen Wahlbeteiligung gefährdet. «Ist der Präsident wirklich legitimiert, wenn er nur einen sehr kleinen Teil der Bevölkerung hinter sich weiß?» fragte er. 2004 lag die Wahlbeteiligung nach UN-Angaben bei etwa 70 Prozent.

Die Taliban kontrollieren über ein Viertel des Landes. Die Regierung forderte Journalisten auf, nicht mehr über Anschläge zu berichten. Sie befürchtet, die Berichterstattung könnte zu viele Menschen von der Wahl abschrecken. Menschenrechtsorganisationen kritisierten den Aufruf der Regierung.

Der klare Favorit Karsai ist seit sieben Jahren im Amt. Der Paschtune aus Kandahar hat allerdings an Zuspruch in der Bevölkerung verloren. Es wird erwartet, dass er am Donnerstag nicht die im ersten Wahlgang erforderliche absolute Mehrheit erhält und sich im Oktober einer Stichwahl stellen muss. Ein vorläufiges Ergebnis soll am 3. September, das endgültige Resultat am 17. September bekanntgegeben werden.

Stärkster Herausforderer Karsais ist der frühere Außenminister und Augenarzt, Abdullah Abdullah. Er äußerte die Erwartung, als Sieger aus der Wahl hervorzugehen, sofern sie nicht zugunsten Karsais manipuliert werde. Damit schürte Abdullah Spekulationen über Wahlbetrug und mögliche Unruhen nach Bekanntgabe des Ergebnisses. Als aussichtsreicher Bewerber gilt auch Aschraf Ghani, promovierter Ökonom und früherer Finanzminister, der elf Jahre bei der Weltbank arbeitete.

Karsai erhält auch Unterstützung von Ex-Milizenführer General Abduhl Raschid Dostum. Der usbekische Warlord war am Sonntag aus dem Exil in der Türkei zurückgekehrt. Er hatte bei der Wahl 2004 zehn Prozent der Stimmen bekommen. Dostum ist für seine Brutalität berüchtigt. In den kriegerischen Auseinandersetzungen der vergangenen 30 Jahre wechselte er mehrfach die Seiten. Dostum soll das Oberkommando der Armee übernehmen, wenn Karsai wiedergewählt wird.

Die rund 7.000 Wahllokale sollen am Donnerstag um 7 Uhr Ortszeit (4.30 Mitteleuropäischer Sommerzeit) öffnen. Neben dem Präsidenten stehen auch 420 Ratssitze in den 34 Provinzen zur Wahl, um die sich mehr als 3.000 Kandidaten bewerben.

Der Deutsche Bundeswehrverband kritisierte ein zu geringes Engagement der Deutschen in Afghanistan. Bei der Polizeiausbildung lasse die Beteiligung vor allem aus Deutschland zu wünschen übrig, sagte der Verbandsvorsitzende Ulrich Kirsch der «Neuen Presse» (Mittwochsausgabe) in Hannover. Die Bundesländer stellten zu wenig Ausbilder zur Verfügung.