Landesbischof Bohl zur Bedeutung des Glaubens in Ostdeutschland

"Halt und eine zuverlässige Orientierung"

Eine Wiederbelebung des Christentums als probates Mittel gegen "Verwahrlosung und Entbürgerlichung" in den neuen Bundesländern. Mit dieser These ist Brandenburgs Innenminister Jörg Schönbohm in die Kritik geraten. Im domradio-Interview erhält Schönbohm Unterstützung vom evangelischen Landesbischof von Sachsen, Jochen Bohl: "Christentum ist kein Allheilmittel, aber ein wichtiges Heilmittel."

 (DR)

domradio: Herr Bischof, Sehen Sie im Christentum das Patentrezept für eine friedvolle und rücksichtsvoll miteinander umgehende Gesellschaft?
Bohl: Ein Allheilmittel kann es in dieser komplizierten Welt wohl nicht geben. Aber ein wichtiges Heilmittel ist es ganz bestimmt. Ich erfahre für mich selber und auch für viele andere Menschen in unserer Kirche, dass der christliche Glaube sehr bedeutend ist. Er gibt Halt und eine zuverlässige Orientierung, die helfen kann, das Gute vom Bösen und das Unwichtige vom Wichtigen zu unterscheiden. Insofern ist sicherlich richtig, wenn Herr Schönborn gesagt, dass es gut ist, wenn die Kirche viele Menschen an sich bindet. Und wenn die Menschen am Glauben der Christenheit festhalten.

domradio: Was kann man gegen die "Entkirchlichung" tun?
Bohl: Zunächst muss man sagen, dass dies kein reines Ost-Phänomen ist. Auch in den westdeutschen Bundesländern hat die Kirche in den zurückliegenden Jahrzehnten sehr viele Menschen und an Rückhalt verloren. Das ist bedauerlich und vielleicht ist das im Westen noch etwas beunruhigender als bei uns im Osten. Hier ist der Grund ja offenkundig: Das ist eine Spätfolge des Kampfes der SED und des DDR-Staates gegen die Kirche. Im Westen geschieht dies alles unter den Bedingungen der Freiheit.

Wir haben inzwischen gelernt, dass es sein kann, dass die Menschen die Kirchen in Massen verlassen. Aber zurückgewinnen muss man sie natürlich einzeln. Der christliche Glaube hat mit der Persönlichkeit eines Menschen zu tun. Es ist eine Frage der Überzeugung. Bis sich jemand dazu entschließt, als erwachsener Mensch die Taufe zu begehren, geht dem in aller Regel ein langer Prozess der Annäherung und des Nachdenkens und Beobachtens der christlichen Gemeinde voraus. Insofern sind wir mit den Zahlen hier bei uns ganz dankbar. Es gibt in Sachsen jedes Jahr etwa 1.700 Menschen, die als Erwachsene getauft werden. Es gibt fast keine Gemeinde, in der nicht Glaubenskurse für Erwachsene stattfinden, die in der Regel auch sehr gut besucht sind. Wir tun, was wir können und das ist nicht wenig.

domradio:  Es ist ja nicht der erste Vorstoß des brandenburgischen Innenministers. Und im vergangenen Jahr war es der Ministerpräsident von Sachsen-Anhalt, Wolfgang Böhmer, der die DDR-Geschichte für den leichtfertigen Umgang mit ungeborenem Leben verantwortlich machte. Gibt es da in der Mentalität wirklich einen Unterschied zwischen Ost und West?
Bohl: Das kann man nur schwer beurteilen. Verwahrlosungsphänomene gibt es in Ost und West gleichermaßen. Kindesmisshandlung und unglaubliche Gewaltverbrechen geschehen im gesamten Land. Die Zahlen der Abreibungen sind im Osten zwar etwas höher als im Westen, das hat aber etwas damit zu tun, dass es hier auch sehr prekäre Lebensverhältnisse gibt. Die Arbeitslosigkeit ist viel höher und ungewisse Zukunftsaussichten sind nun mal kein Argument für ein Kind.

Ich will auch nicht ganz ausschließen, dass die sehr liberale Abtreibungsreglung in der DDR-Zeit noch Nachwirkungen hat. Die evangelische Kirche in Sachsen ist in der Schwangerschaftskonfliktberatung sehr aktiv und aus den Beratungsstellen höre ich aber immer wieder, dass die Sorge, es würde bedenkenlos abgetrieben, unbegründet ist.

domradio:  Am 30. August wählt der Freistaat Sachsen seinen Landtag. Was ist Ihr Appell an die Wahlberechtigten?
Bohl:  Das allerwichtigste ist, dass wir Wählen gehen und das als Bürgerpflicht. Eine hohe Wahlbeteiligung ist ein Zeichen der Zustimmung zur demokratischen Ordnung. Eine niedrige Wahlbeteiligung würde den Abstand vieler Menschen deutlich machen, und das kann eine Demokratie auf Dauer nicht vertragen. Aber auch in Sachen Wahlbeteilung fällt der Osten nicht aus dem Rahmen.

Daneben gibt es das Thema NPD in Sachsen. Wir werden als Landeskirche deutlich machen, dass für einen Christenmenschen diese Partei nicht wählbar ist.